»Wir wollten Einheit und Frieden ...«
Ost-West Gespräche im Januar 1951 – ein Treffen zwischen FDJlern und ehemaligen HJlern
Für uns junge FDJ-Funktionäre stand bei der Vorbereitung des Treffens die von breiten Schichten der Bevölkerung beider deutscher Staaten getragene Forderung im Mittelpunkt, eine endgültige Zementierung der Spaltung Deutschlands zu verhindern. Diese drohte mit der Remilitarisierung der jungen Bundesrepublik unter der Adenauerregierung. Unser Anliegen entsprach der Intention des Briefes des DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl an den Bundeskanzler vom 30. November 1950. Darin hatte er einen Vorschlag für Verhandlungen zur Bildung eines Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates, zur Vorbereitung gesamtdeutscher Wahlen für eine Nationalversammlung und für einen Friedensvertrag der vier Siegermächte mit Deutschland unterbreitet.
Unsere Ost-West-Gespräche fanden am 29. Januar 1951 in einem Tagungsraum der Kapernaum-Kirche in Westberlin statt und erfuhren Fortsetzung am folgenden Tag in einem Gästehaus in Weißensee in Ostberlin. Soweit ich mich erinnern kann, kam die Initiative zu diesem Treffen von den in Westdeutschland eher im Verborgenen wirkenden ehemaligen HJ-Führern. Als gemeinsamen Nenner der Gespräche stellten diese in den Vordergrund: »Wir wollen keinen Krieg auf deutschen Boden, weder in der Uniform der Amis noch der Russen, und wir wollen die Sicherung der Einheit Deutschlands.«
Ich muss gestehen, dass wir uns von Wunschvorstellungen leiten ließen, wenn wir meinten, über diese ehemaligen HJ-Führer größeren Einfluss auf die Jugend in der Bundesrepublik und die Bewegung gegen Remilitarisierung und Spaltung nehmen zu können. Während der Gespräche, aber vor allem beim abendlichen Beisammensein, an dem auch Erich Honecker und sein Stellvertreter Heinz Lippmann teilnahmen, wurde mir klar, dass es über die Forderung nach Frieden und Einheit Deutschlands hinaus keine Einigung über andere bedeutende gesellschaftliche Fragen geben werde. Honecker meinte aber in einer Beratung zur Vorbereitung des »geselligen Beisammenseins«, Frieden und Einheit seien in der gegenwärtigen Situation das Entscheidende. In einem persönlichen Gespräch fragte er mich, ob er mich den westdeutschen Gesprächspartnern als jemanden vorstellen dürfe, der die Lehren aus der Vergangenheit gezogen habe. Ich war bis zu meinem 16. Lebensjahr Schüler an einer Napola gewesen. Natürlich war ich einverstanden. Und so wies mich der FDJ-Vorsitzende als einen der Jugendlichen aus, die sich besonders angestrengt haben, deutsche Schuld abzutragen und deshalb nicht die schlechtesten Funktionäre der FDJ seien. Diese Wertung nahm der »Spiegel« in seinem Bericht am 27. März 1951 zum Anlass, zu behaupten, junge Nazis passten gut zur FDJ. Natürlich konnte man mich wie auch Dieter Schmotz, Werner Zscheile und Walter Oberthür als ehemalige Nazis bezeichnen. Aber wir sind nach Zerschlagung der faschistischen Diktatur den Weg der Läuterung gegangen, wie Margot Feist, Mitglied des Sekretariats des Zentralrates und Leiterin unserer Delegation, bei der Eröffnung der Tagung formuliert hatte. Von der anderen Seite konnte man dies nicht behaupten. Zumindest habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Mitglieder der westdeutschen Delegation noch immer recht stramme Nazis waren. Sie waren an die 40 Jahre alt, waren Bannführer, Wehrmachts- oder SS-Offiziere gewesen, einer (Carl Cerff) sogar Brigadeführer. Das Durchschnittsalter von uns FDJlern betrug 24. Und uns alle zeichnete eine ehrliche antifaschistische Einstellung aus, zu der wir über einen schmerzhaften Erkenntnisprozess und radikales Umdenkens gelangt waren – inspiriert auch durch unsere damaligen Vorbilder, die – wie Honecker und Lippmann – aktiv das faschistische Regime bekämpft und KZ und Zuchthaus durchlitten hatten.
Die Leitung der Gespräche hatte der damals bekannte Propst der evangelischen Kirche Heinrich Grüber (1891-1975) übernommen. Ich war von ihm sofort eingenommen. Sein Leidensweg unter faschistischer Herrschaft im KZ Dachau, wo er Kommunisten wie Erwin Geschonneck kennen und schätzen gelernt hatte, haben mich tief beeindruckt. Allein die Tatsache, dass der Christ und Antifaschist Grüber im Einverständnis mit seinem Bischof (Dibelius) sich als »Moderator« zur Verfügung gestellt hatte, führt die immer wieder unternommenen Versuche der Diffamierung des Treffens von 1951 ad absurdum. Der Gottesmann sprach am 29. Januar klar von Schuld und Verantwortung, auch der jungen Generation: »Wir wissen um unsere Schuld in der Vergangenheit, und es genügt dabei nicht die Erkenntnis, dass ein dritter Weltbrand Deutschland in verbrannte Erde verwandelt ... Wir haben die Schuld wieder gutzumachen, indem wir alle Kräfte in den Dienst der Verständigung und Versöhnung stellen. Der Friede und die Einheit der Welt werden durch eine Aufspaltung Deutschlands gefährdet.« Und in seinen späteren »Erinnerungen aus sieben Jahrzehnten« (Kiepenheuer & Witsch, Köln 1968) betonte er explizit, dass die Einheit Deutschlands durch die Bonner Regierung vereitelt worden ist: »Nicht die Kommunisten trugen die Schuld daran.«
Die Gespräche zwischen FDJlern und HJlern vor 60 Jahren brachten nicht den erhofften Erfolg. Es bleibt die spannende hypothetische Frage: Wie wäre die Geschichte verlaufen, wenn die wiederholten Vorschläge der DDR-Regierung sowie die verschiedentlichen deutsch-deutschen Treffen auch in späteren Jahren von Erfolg gekrönt worden wären.
Weiterführender Literaturtipp: Roland Bach, »Deutsche an einen Tisch« (68 S., br., 3 €), zu beziehen über den Verein Helle Panke, Kopenhagener Str. 76, 10437 Berlin; Tel.: 030/47 53 87 24.
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