Das Loblied aufs Auto wird leiser

Der Pkw wird heute 125 Jahre alt / Sein massenhafter Erfolg bereitet immer größere Probleme

  • Ulrich Glauber
  • Lesedauer: 4 Min.
Keine technische Errungenschaft vor dem Anbruch des IT-Zeitalters hat das Leben so vieler Menschen verändert wie das Automobil. Doch gerade der Erfolg des Autos macht das Nachdenken über seine Zukunft im »postfossilen Zeitalter« erforderlich.

Der Antrag Nummer 37 435 hatte es in sich: Am 29. Januar 1886 meldete der Ingenieur Carl Benz aus Mannheim sein »Fahrzeug mit Gasmotorenbetrieb« zum Patent an. Die dreirädrige Kutsche mit Hilfsmotor war der Anfang einer Entwicklung, die Gesellschaft, Wirtschaft und Industrie revolutionierte: Fast eine Milliarde Personenwagen, Busse und Lastwagen gibt es inzwischen auf dem Globus. Nach Angaben des Branchenverbands OICA sind weltweit rund neun Millionen Menschen bei den Kraftfahrzeug-Herstellern und ihren Zulieferern beschäftigt.

In Boom-Zeiten schrieben Erfolgsmodelle eine beispiellose Erfolgsgeschichte – und trugen damit selbst zum Wirtschaftsaufschwung bei. Der für die breite Masse erschwingliche VW Käfer wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zum Symbol des westdeutschen Wirtschaftswunders. Mit 21,5 Millionen Exemplaren war er das meistverkaufte Auto aller Zeiten, bis er 2003 vom VW-Golf abgelöst wurde. Das US-Erfolgsmodell der 20er Jahre steht noch für einen anderen Umbruch. Vom Modell Ford T wurden weltweit 15 Millionen Stück verkauft. Der Unternehmer Henry Ford hatte zur Herstellung der »Tin Lizzy« 1910 das Fließband in seinen Werken eingeführt, das dann über Jahrzehnte den Arbeitsalltag auch in anderen Industriebranchen bestimmte.

Zur Rationalisierung wurde später das Baukastenprinzip eingeführt, das die Entwicklung ein- und desselben Fahrzeugmodells für eine Reihe verschiedener Modelle erlaubt. »Kaizen« – die japanische Bezeichnung für schlanke und effektive Arbeitsabläufe, auf die alle Mitarbeiter eingeschworen werden – wurde zum geflügelten Wort auch in den Autofabriken außerhalb Ostasiens, bevor Roboter in den Fertigungshallen für eine Stagnation bei den Arbeitsplätzen trotz Produktionszuwachses sorgten.

Die Pioniere sind längst von riesigen Entwicklungsabteilungen bei den Autokonzernen abgelöst worden. Die Motoren wurden immer leistungsstärker und langlebiger, erst recht, nachdem Daimler-Benz 1956 in seinen Mercedes 180 D erstmals serienmäßig den 1892 von Rudolf Diesel konstruierten Glühkolben-Motor einbaute. Auch in die Verbesserung von Fahrwerk, Getriebe und Karosserie wurde viel Gehirnschmalz gesteckt.

Noch immer sterben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation in jedem Jahr 1,2 Millionen Menschen an den Folgen von Autounfällen. Dabei wurden auf den Sicherheitsaspekt mit am meisten Forschungsenergien verwendet. Fahrgastzelle mit »Knautschzone«, Sicherheitsgurte, Airbag oder Anti-Blockier-System gehören mittlerweile zum Standard. Die Elektronik, die inzwischen auch das Innenleben der Autos bestimmt, macht eine Zukunft beispielsweise mit automatischen Abstandshaltern und Bremssystemen möglich.

Leiser wird das Loblied auf das Auto als Garant von Mobilität und Freiheit, wenn die Auswirkungen der Massen-Automobilisierung auf die Umwelt in den Blick geraten. Seit Einführung des Katalysators und der Aluminium-Karosserie, die bald durch Fahrgastzellen aus Carbon abgelöst werden dürfte, wird an der Verringerung von Luftverschmutzung und Treibstoffverbrauch durch Leichtbau gearbeitet. Doch die gegenläufigen Tendenzen, leistungsstärkere Motoren und zunehmende Motorisierung in Schwellenländern bei knapper werdenden Ölvorräten, macht es notwendig, die Zukunft des Autos neu zu denken. So ist in der Industrie ein wahrer Hype der Elektromobilität ausgebrochen. Experten sind jedoch skeptisch: »Benzin und Diesel haben eine außerordentlich hohe Energiedichte, die sie mit Batterien niemals erreichen können«, argumentiert Lino Guzzella vom Institut für Dynamische Systeme und Regelungstechnik der ETH Zürich. Er sieht auf mittlere Sicht keine andere Möglichkeit, als Spritverbrauch und Gewicht deutlich zu senken. Und der Verbraucher? Das Drei-Liter-Auto VW Lupo floppte in den späten 90er Jahren, die protzigen, spritfressenden Luxusgeländewagen erfreuen sich nach wie vor größter Beliebtheit.


Öffentliches Auto

Individuelle Mobilität wird weiter eine große Rolle spielen, die Dominanz des Autos und die Abhängigkeit von ihm werden aber abnehmen, meint Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland (VCD). Weltweit erlebe das Auto einen dramatischen Imageverlust vor allem bei jungen Menschen. Das iPhone ist längst »imageprägender«, so der VCD-Experte. Auch werden weniger Menschen ein Auto besitzen – besonders in Metropolen der Industrieländer werde mehr geleast, gemietet und geteilt. Der Vorteil: »Je nach Nutzungszweck kann das geeignete Auto gewählt werden: der elektrisch betriebene Kleinwagen in der Stadt, der Diesel-Van für den Wochenend-Familienausflug, das Cabrio für die Spaßfahrt Jungverliebter.« Das Auto gewinne an Bedeutung als Taxi, Carsharing-Fahrzeug oder Leihwagen – »als öffentliches Auto«. dpa/ND

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