Die Atomsuppe auslöffeln

Nach dem West-Atommüll kommt nun auch Industrieabfall ins Zwischenlager Lubmin

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.
Zwischen 1971 und 1990 fielen in der Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe an die 70 000 Liter hoch radioaktive Säure an. Zwanzig Jahre lang war die Entsorgungsfrage offen, nun soll die Lösung »Lubmin« heißen – und der Staat zeigt sich bei den Entsorgungskosten einmal mehr sehr großzügig.

Schon der Lubminer Castortransport im Dezember vergangenen Jahres hatte eine Besonderheit: Mit den abgebrannten Elementen aus dem bundeseigenen Forschungsschiff »Otto Hahn« kam zum ersten Mal Atommüll aus dem Westteil der Republik in das ostdeutsche Zwischenlager Nord (ZLN) – allen gegenteilig lautenden Versprechungen seit der Wende zum Trotz. Doch auch der jetzt anstehende Transport stellt ein Novum dar: die hoch radioaktive Fuhre von fünf Castor-Behältern, die kommende Woche das Zwischenlager erreichen soll, enthält auch Müll aus der Privatwirtschaft, der nun dennoch im staatlichen ZLN lagern soll. Dabei war dieses ganz ausdrücklich für die Hinterlassenschaft der DDR-Meiler in Rheinsberg und Lubmin bestimmt.

Der Atommüll stammt aus der ehemaligen Wiederaufbereitungsanlage in Karlsruhe (WAK), die zwar vom Staat betrieben wurde, aber überwiegend Atombrennstäbe aus der Privatwirtschaft für den weiteren Gebrauch aufbereitet hat. Die Anlage, die 1971 in Betrieb gegangen war, wurde 1990 stillgelegt, nachdem dort insgesamt gut 200 Tonnen Kernbrennstoff wiederaufbereitet worden waren.

Anschließend aber hat sich, wie das ARD-Magazin »Kontraste« im Januar unter Berufung auf bisher der Öffentlichkeit nicht bekannte Verträge berichtete, die Industrie besonders kostengünstig aus der Affäre gezogen. Die Zuständigkeit für den Abfall aus der Anlage wurde generös nur zu 40 Prozent der Industrie zugeschlagen – und obwohl diese 40 Prozent den deutlich gefährlicheren Teil des Mülls darstellen und laut »Kontraste« etwa 70 Prozent der Strahlenbelastung auf den Industrieabfall zurückgehen, bleibt es bei einer Kostenteilung von 40 zu 60 Prozent – zu Ungunsten der öffentlichen Hand.

Die jetzt in Lubmin erwarteten Fässer enthalten die sogenannte Atomsuppe, die beim Aufbereitungsprozess in Karlsruhe angefallen ist. Bei den zwischen 60 000 und 70 000 Litern hoch radioaktiver Säure handelt es sich um die mit Abstand größte giftigste Hinterlassenschaft der westdeutschen Atomwirtschaft. Jetzt soll der unangenehme Problemmüll für Jahrzehnte an der Ostsee geparkt werden, nachdem die Entsorgung der Brühe seit 1990 nicht geregelt werden konnte. Zunächst hatte man versucht, die »Suppe« nach Belgien zu schaffen und dort für die Zwischenlagerung zu verfestigen, was indes an den Widerständen gegen einen besonders gefährlichen Transport der Giftbrühe in flüssigem Zustand scheiterte.

Daraufhin wurde in Karlsruhe selbst eine Anlage errichtet, mit der die Suppe zu kleinen Kügelchen verglast werden kann. Nach jahrelangen Planungsproblemen und brisanten Episoden wie dem Plutoniumdiebstahl eines Beschäftigten beim Abbruch der WAK im Jahr 2001 wurde die Verglasungsanlage im Sommer 2009 fertig – nachdem die hochgefährliche Brühe zuvor fast zwei Jahrzehnte ganz unbehandelt in zwei permanent gekühlten Edelstahltanks geschwappt hatte.

Nach Angaben der WAK aus dem Jahr 2009 besteht die Atomsuppe aus Salpetersäure, die aber mit über 16 Kilo Plutonium, 500 Kilo Uran und erheblichen Mengen von Spaltprodukten wie Cäsium oder Strontiumisotopen angereichert ist.

Die »Verglasung« der Atomsuppe für den Transport nach Lubmin selbst scheint indes problemlos verlaufen zu sein. Die für den Prozess veranschlagten anderthalb Jahre wurden sogar noch unterschritten. An der Industrie liegt es also nicht mehr, wenn es bei dem Transport nach Lubmin zu weiteren Verzögerungen kommen sollte.

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