Türke oder Deutscher?

Wettbewerb: »Almanya«

  • Angelika Kettelhack
  • Lesedauer: 3 Min.

Bin ich Türke oder bin ich Deutscher«, fragt der sechsjährige Cenk Yilmaz, als er in Dortmund in die Schule kommt und weder die deutschen noch die türkischen Jungen ihn in ihre Fußballmannschaft aufnehmen wollen. Es ist das erste Mal, dass er nicht mehr weiß, wo er hingehört. Dabei ist sein Großvater Hüseyin Yilmaz schon am 10. September 1964 als sogenannter Gastarbeiter nach Deutschland eingereist. Beinahe hätte er damals den Willkommensgruß, einen Nelkenstrauß, ein Diplom und ein zweisitziges Moped Marke Zündapp bekommen. Da er aber in der Schlange der neuangekommenen Fremden zu liebenswürdig war und einem hinter ihm drängelnden Mitbewerber Platz machte, wurde er nur die Nummer 1 000 001. Dennoch arbeitete er sich fleißig nach oben und konnte bald seine Frau Fatma und seine drei Kinder aus der Türkei nachholen.

Das ist die fast wahre Geschichte, die die Schwestern Yasemin und Nesrin Samdereli, beide verantwortlich für Drehbuch und Regie, mit autobiografischen Bezügen in ihrem ersten Kinospielfilm, einer köstlichen Satire, erzählen. Die Zuschauer reagierten mit teils befreitem, teils beklommenem Lachen. Befreit, weil die Schwestern es verstehen, ihre Erlebnisse mit viel Humor und Sensibilität für Kuriositäten zu erzählen. Und das in einer Zeit, in der die Frage der Integration von Ausländern in Deutschland mal wieder hochgekocht wird. Yasemin und Nesrin haben sich aber keinesfalls dem Zeitgeist untergeordnet, sondern haben erstaunlich lange am Drehbuch gearbeitet, 50 Fassungen sollen es gewesen sein. Dennoch haben die beiden nicht die Fassung verloren, sondern ihre Geschichte zu Ende erzählt.

Beklommen wurde das Lachen immer dann, wenn den deutschen Zuschauern peinlich wurde, was sich die Bürokratie der »Ureinwohner« den Fremden gegenüber erlaubt. Wie etwa, absurd zugespitzt, in der Szene, in der ein deutscher Beamter (Axel Milberg) klar macht, was ein Fremder zu tun hat, bevor er einen deutschen Pass haben darf: »Verpflichten Sie sich, als baldige deutsche Staatsbürger, die deutsche Kultur als Leitkultur zu übernehmen?« Außerdem verlangt er die Mitgliedschaft in einem deutschen Schützenverein, zweimaliges Essen von Schweinefleisch pro Woche, einmal die Woche »Tatort« im TV zu gucken und alle zwei Jahre eine Sommerreise nach Mallorca. Auf die Frage des Beamten: »Sind Sie bereit, diese Pflichten auf sich zu nehmen?«, antwortet Cenks Großmutter amüsiert, aber Haltung bewahrend: »Ja! Natürlich! Muss ja alles seine Ordnung haben!«

Kurz nach der »Eindeutschung« erklärt Großvater Hüseyin, dass er ein Haus für die späte Rückkehr der Familie ins Land ihrer Vorfahren gekauft habe. Also reist die ganze Großfamilie, die Großeltern, die verheirateten Kinder und deren Kinder, in einem gemieteten Kleinbus nach Erzincan, im tiefsten Anatolien. Ausreden werden vom Patriarch nicht geduldet. Auf der Reise entdeckt ausgerechnet ihr Großvater, dass Canan, Cenks 22-jährige Cousine, von ihrem englischen Freund heimlich schwanger ist. Sie wird von ihrer Familie zwar nicht verachtet oder bestraft, aber es wird die Frage gestellt: »Hätte es nicht wenigstens ein Deutscher sein können?!«

Yasemin und Nesrin Samdereli hatten sich als Kinder in Nordrhein-Westfalen schnell integriert: Nesrin zum Beispiel tanzte zu Karneval bei den Funkenmariechen und konnte katholische Kirchenlieder mitsingen, voller Inbrunst tat sie es. Yasemin spielte Querflöte in einem Spielmannszug. Später waren sie in der deutschen Fernsehlandschaft gut integriert: Sie erarbeiteten zum Beispiel 2002 die Multi-Kulti-Liebeskomödie »Alles getürkt« und schrieben 2006 einige Folgen für die preisgekrönte TV-Serie »Türkisch für Anfänger«.

Ihre erste Komödie, die ab März regulär im Kino läuft, endet mit einer Überraschung: Das vom Patriarchen gekaufte antike Haus steht auf einem Hügel hoch über einer idyllisch schönen Landschaft in Anatolien, aber als die Haustür geöffnet wird: Enttäuschung – oder Erleichterung?

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