Eine Sinnenfreude für Augen und Gaumen
Kulinarisches Kino: »Jiro Dreams of Sushi« von David Gelb
Es hätte aktivistischere Dokumentarfilme gegeben in der Berlinale-Sektion »Kulinarisches Kino« die man hätte besprechen können. Filme wie Risteard O'Domhnaills »The Pipe« über eine irische Küstengemeinde, die sich auflehnt gegen den Bau einer Erdgasleitung, die quer durch ihre Fischgründe und Moorwiesen führen würde – und zumindest einen Teil ihrer Ansprüche behaupten kann gegen den Shell-Konzern. Fernsehdokus wie »Divine Pig« von Hans Dortmans, in dem ein niederländischer Schlachter sich selbst damit überrascht, dass er Hausschwein Dorus noch eine Gnadenfrist gewährt und noch eine, obwohl es längst hätte geschlachtet werden sollen.
Aber kein Film ist eine solche Sinnenfreude für Augen und Gaumen wie David Gelbs US-amerikanischer Dokumentarfilm »Jiro Dreams of Sushi«. Das Porträt eines 85-jährigen Sushi-Meisters in seinem klitzekleinen Restaurant an einer Tokioter U-Bahn-Station. Ein beinahe asketischer Film, so minimalistisch wie die Nigiri auf Schwarz, die er einzeln präsentiert. Dabei von einer Pracht in den Zutaten und der Vollkommenheit ihrer Zubereitung und Darbietung, dass einem schier die Augen übergehen.
Ein Film über einen Mann, der keine halben Sachen mag. Der während des Kaiserreichs geboren wurde, schon als Kind auf eigenen Füßen stand und nach dem Zweiten Weltkrieg als Sushi-Koch zu arbeiten begann. Der keine Ferien mag, jeden Tag selbst am Tresen steht und probiert, ob die zubereiteten Gerichte auch wirklich gut genug seien, um sie den Kunden anzubieten – und der die tägliche Fahrt zum legendären Tokioter Fischmarkt nur deshalb seinem Sohn und Kronprinzen überlässt, weil er in seinen Siebzigern beim Marktgang einen Herzinfarkt erlitt.
Also ist es Yoshikazu, der Sohn, der vor der Kamera von schwindenden Fischbeständen erzählt und davon, wie dringend notwendig eine nachhaltige Bewirtschaftung der Fischgründe sei. Dass das die Preise im Restaurant noch einmal in die Höhe treiben würde, ist eher kein Problem – es ist jeweils auf Wochen ausgebucht.
»Jiro Dreams of Sushi« ist das Soziogramm einer japanischen Familie, in der das strikte Patriarchat japanischer Tradition überlebt hat, ein Lehrstück über eherne Arbeitsmoral und völlige Hingabe. Jiro Onos Neun-Platz-Restaurant hat drei Sterne im Michelin – und das trotz Außen-Klo! Der japanische Restaurant-Kritiker, den Gelb über Jiro und die Qualität seiner Sushi befragt, kann zahlreiche Buchpublikationen vorweisen und ist auch sonst nicht auf den Mund gefallen, aber wenn er unter des Meisters strengem Blick dessen neue Speisefolge kosten darf, kann auch er sich der Nervosität nicht erwehren. Wo der Chef selbst derart kritisch mit sich und seinen Angestellten umgeht, was könnte der Restaurant-Kritiker seiner Einschätzung wohl noch hinzufügen?
Es ist ein sinnliches Vergnügen, der Fingerfertigkeit zuzusehen, die Jiros Angestellte sich in jeweils mindestens zehnjähriger Lehrzeit von ihrem Meister abgeschaut haben. Mit seinen eigenen Söhnen sei er bei deren Ausbildung sogar noch etwas strenger gewesen als mit den anderen, gibt der zu, und es ist ein schwieriges Gespräch, dass Gelb vor der Kamera mit beiden Söhnen führt. Mit Yoshikazu, dem Kronprinzen, der immer noch im Schatten des Vaters steht. Und mit Takashi, dem jüngeren Sohn, der eine Filiale unter dem Familiennamen eröffnen durfte – weil der Vater befand, er sei nun reif dafür. Dieses zweite Restaurant sieht haargenau so wie das erste aus – aber weil der Vater Linkshänder ist und sein Sohn nicht, ist es das seitenverkehrte Abbild des Originals.
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