Die wir retten – wollen sie uns an die Kehle?

Constantine Giannaris und sein Film über Bootsflüchtlinge: »Der Mut dieser Menschen ist zu bewundern«

  • Lesedauer: 5 Min.
Constantine Giannaris, in Sydney geboren, studierte in Großbritannien griechische und sowjetische Geschichte, bevor er sich dem Filmemachen zuwandte. Heute lebt er im Zentrum von Athen inmitten der Einwanderer, von denen auch der Film handelt, den er im Panorama der Berlinale vorstellte: »Man at Sea«.

In Ihrem Film nimmt der Kapitän eines griechischen Tankers im Mittelmeer, ausdrücklichen Anordnungen der Reederei zuwiderhandelnd, Bootsflüchtlinge aus Afghanistan, Irak und Syrien an Bord. Aber er löst dann letztlich Meuterei und Mord und Totschlag aus. – Heißt das: Erst retten wir sie, und dann schneiden sie uns die Kehle durch?
Sollen wir sie alle umbringen? Der Kapitän ist anfangs der einzige, der die richtige Entscheidung trifft. Dann macht er Fehler, die Situation eskaliert. Denn Mitleid ist nicht der richtige Ansatz. Und Flüchtlinge sind wie alle Menschen nicht immer nur rein und gut. Sie haben ihre eigenen Vorstellungen, Ziele, Ansprüche. Sie wollen ein besseres Leben als das, das sie hinter sich ließen. Und mit welchem Recht sollten wir ihnen das wohl verweigern?

Zählt nicht die Furcht mancher, unter den Druck anderer kultureller Werte und sozialer Gepflogenheiten zu geraten und irgendwann nicht nur die ethnische, sondern auch die kulturelle oder religiöse Minderheit im eigenen Land zu sein?
Gegenfrage: Verträgt es sich denn mit der aufklärerischen und humanistischen Tradition des Alten Europa, die Menschen, die zu uns kommen wollen, einfach auszusperren.

Welche Lösung haben Sie denn vorzuschlagen?
Auf lange Sicht wird eine irgendwie geartete Weltregierung geben müssen. Unser Erdball ist einfach zu klein, um ihn in Länder wie Parzellen aufzuteilen, um die man dann Mauern errichtet und sie gegen den Rest der Welt zu verteidigen versucht. Das wird nicht funktionieren. Die Zukunft der Menschheit bedarf einer gemeinsamen Anstrengung, die über alles hinausgehen muss, was wir bisher tun. Uns mag Afghanistan vorkommen wie ein Land ganz weit weg. Oder Pakistan. Aber auch da gibt es Internet und Filme, und die transportieren nicht nur einen Eindruck davon, dass es uns ökonomisch besser geht, sondern auch ein Bild von Freiheit.

Soll man Ihrer Meinung nach also Grenzen abschaffen?
Offensichtlich ist doch: Millionen von Menschen werden aus ihrer Heimat vertrieben und ihrer Wurzeln beraubt. Viele von denen, die bei uns ankommen, gehören zu den intelligentesten Köpfen ihrer Generation. Man muss schon viel Mut und Vertrauen in die eigene Zukunft haben, um zu Fuß durch halb Zentralasien zu wandern, bis man in Istanbul ankommt. Wo ich dann vielleicht ein Boot finde, mit dem ich nach Athen komme, wo ich dann hoffentlich jemanden finden werde, der mich für 4000 Euro nach Italien schmuggelt. Immer mit der Gefahr vor Augen, unterwegs zu ertrinken oder umgebracht zu werden. Wer den Mut und die Willenskraft aufbringt, das trotz der Gefahren und Unwägbarkeiten zu versuchen, den kann man nur bewundern.

Und es geht auch gar nicht nur ums Geld, um ökonomische Vorteile. Oft geht es wirklich um die Grundbedürfnisse. Oft geht es um persönliche Freiheit. Um Freiheit vor politischer oder sexueller Verfolgung. Frauen, die nicht ihr Leben lang eine Burka tragen möchten, schwule junge Männer, die den traditionellen patriarchalischen Clan-Strukturen auf dem Land zu entkommen suchen, in denen sie unterdrückt werden. Sie fliehen die Zwänge und mittelalterlichen Vorstellungen, die zu Hause herrschen.

Sind Sie sich da sicher?
Den jungen Leuten, die in meinem Film die Flüchtlinge spielen, geht es nicht um Geld, sondern um persönliche Entfaltung, um eine andere Art von Leben. Sie alle sind keine professionellen Darsteller, sondern junge Männer, die ich im Umkreis meiner Wohnung gefunden habe. Das Zentrum von Athen ist ein bisschen wie der Tanker im Film. In den letzten zehn Jahren ist das zu einer Art – und ich benutze das Wort hier mit Vorsicht – Ghetto geworden. Die Immigranten, die da leben, werden nach Strich und Faden ausgebeutet. Schlechte Wohnungen, Billiglöhne, Schwarzarbeit, natürlich keinerlei Sozialversicherung. Die griechische Landwirtschaft würde zusammenbrechen ohne die billigen Erntehelfer aus Kurdistan, Irak, Afghanistan oder Bangladesch.

Griechenland hat in der Tat keinen besonders guten Ruf in der EU, was seinen Umgang mit Asylbewerbern angeht.
Der griechische Staat behandelt auch seine eigenen Bürger abscheulich, da funktioniert alles nur über Parteizugehörigkeit und Klientelwirtschaft – einer der Gründe, warum wir bankrott sind. Die griechische Bürokratie ist ein Sumpf, in dem sich schon die Einheimischen nur zurechtfinden, wenn sie jemanden kennen, der jemanden kennt ... Wenn dann gar einer die Sprache nicht spricht und sich mit den Abkürzungen nicht auskennt, der hat keine Chance.

Doch auch da gibt es Hoffnung: In den letzten Jahren sind mehr und mehr private Organisationen entstanden, die sich der Misere annehmen. Von offizieller Seite geht man weiter davon aus, dass »die« ja wieder gehen werden, dass sie ja nur auf der Durchreise sind. Aber wenn einer fünf, sechs, zehn Jahre im Land lebt – und immer noch keine Papiere hat, wird die Lage kritisch. Und natürlich übt die Europäische Union Druck aus, weil nach der Dublin-II-Verordnung jeder Asylbewerber in das Land zurückgeführt wird, in dem er zuerst europäischen Boden betrat. Also kommen Menschen nach Griechenland zurück, die es schon in andere Länder geschafft hatten. Und weil wir die Tradition nicht haben, Menschen auszuweisen, bleiben sie da und der ganze Kreislauf geht von vorne los.

Also tatsächlich so ähnlich wie auf dem Schiff in Ihrem Film, wo man auch auf engem Raum und unter wirtschaftlich schwierigen Bedingungen – die Reederei ist praktisch pleite, die Crew seit Monaten nicht bezahlt worden – ein Auskommen miteinander finden muss. Was in der Katastrophe endet...
Mir ging es mit dem Film nicht nur darum zu zeigen, wie es den Flüchtlingen in ihrem Elend geht. Das ist nur ein Teil der Geschichte. Ich wollte unsere Reaktion auf die Irritation ihrer Ankunft in den Blick rücken.

Interview: Caroline M. Buck

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