Von Wisconsin lernen

Warnstreiks im Öffentlichen Dienst in Hessen – in der US-Partnerregion ist man schon weiter

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Heute sind in verschiedenen Bundesländern Warnstreiks im Öffentlichen Dienst geplant. Auch in Hessen. Hier macht der Name der hessischen Partnerregion Wisconsin derzeit die Runde. Denn dort drohen Gewerkschaften mit einem Generalstreik.

Von Wisconsin lernen, lautete die unausgesprochene Botschaft des damaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU), nachdem er der US-amerikanischen Partnerregion im Jahr 2003 einen Besuch abgestattet hatte. Diese Parole hat in den letzten Tagen eine neue Bedeutung erlangt: Denn in dem US-Bundesstaat hat sich der Konflikt zwischen der Regierung des rechten Republikaners Scott Walker und den Gewerkschaften zugespitzt. Tausende Gewerkschafter besetzten in den letzten Tagen Regierungs- und Parlamentsgebäude in Madison.

Der Zuspitzung des Klassenkampfes in Wisconsin bis hin zur Androhung eines Generalstreiks durch die Gewerkschaften war ein jahrelanger Klassenkampf von oben vorausgegangen. Denn was Koch, der in diesen Tagen seinen neuen Job als Chef des Baukonzerns Bilfinger Berger antritt, damals faszinierte, war das vom langjährigen Gouverneur in Wisconsin, Tommy Thompson, eingeführte »Workfare«-Modell. Dieser aus den Worten »Work« (Arbeit) und »Welfare« (Wohlfahrt) zusammengesetzte Begriff umschreibt ein Modell, das Sozialhilfeempfänger zu Jobs im Niedriglohnbereich zwingt. Wer sich sträubt, verliert seine Sozialleistungen.

Koch fand in den Gesprächen mit seinen amerikanischen Kollegen Anregungen und wurde 2003 über den Bundesrat zum Hardliner bei den Verhandlungen über die Hartz-Gesetze. Thompson stieg zum Arbeitsminister der Bush-Administration auf. Sein Nach-Nachfolger im Gouverneursamt, Scott Walker, setzt nun wiederum neue Maßstäbe für die Nation und versucht, die Gewerkschaften mit einem Generalangriff entscheidend zu schwächen (ND berichtete). Das hat auch bei hessischen Gewerkschaftern ein starkes Echo ausgelöst. Denn schließlich suchten nicht nur konservative Landespolitiker im US-Partnerstaat am Michigan-See ihresgleichen, sondern auch gestandene Gewerkschafter.

So traf der ehemalige DGB-Landesvorsitzende Dieter Hooge von 1998 bis 2002 dreimal in Folge in Wisconsin führende Gewerkschafter. Einmal besuchte er auch zusammen mit IG Metall-Funktionären ein Chrysler-Motorenwerk in Kenosha – damals gehörten Daimler und Chrysler noch zusammen. 60 Prozent der Bevölkerung in Wisconsin haben deutsche Wurzeln, erfuhr Hooge dort. Er hat vor Ort auch eine »durchaus wohlfahrtsstaatliche Tradition und eine starke Arbeiterbewegung« wahrgenommen. Der deutsche Gewerkschafter kennt viele der dortigen Gewerkschaftsakteure, so etwa Marty Beil, den Vorsitzenden der größten regionalen Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst, dessen Vater aus Oberursel bei Frankfurt stammt. Hooge ist überzeugt: »Diese Gewerkschaft ist auch dem Gouverneur Walker ein Dorn im Auge.« Walker versucht, sie ihrer Tarifautonomie zu berauben und so zu entmachten.

Wenn am heutigen Montag in Wiesbaden Gewerkschafter auf die Straße gehen, um in der Tarifrunde Druck auf die hessische Landesregierung auszuüben, dann dürfte der Unmut noch nicht so spektakulär zum Ausdruck kommen wie in Madison. Allerdings haben sich auch in Hessen die Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Landesregierung verschlechtert. So hat das Landtagspräsidium gegen den ver.di-Landeschef Jürgen Bothner Strafanzeige erstattet und ein Hausverbot erteilt, weil dieser zusammen mit einem Dutzend Gewerkschafter aus Protest gegen die geplante hessische »Schuldenbremse« auf der Besuchertribüne des Landtags ein Lied angestimmt hatte.

Was Wisconsin und Hessen mit anderen Staaten teilen, ist der systematische Versuch, die milliardenschweren Defizite für die Rettung von Großbanken auf die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst abzuwälzen. So erkannte auch Willi van Ooyen, Chef der hessischen Linksfraktion, Parallelen zwischen Walkers Anti-Gewerkschaftskurs und den Folgen einer Schuldenbremse in der Landesverfassung. Er warnte davor, dass das Modell Wisconsin »bei Schwarz-Gelb Nachahmer finden« werde.

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