»Keine Bevormundung durch EU«

Scholz: Nordafrika muss über Beziehungen zu Europa selbst entscheiden

  • Lesedauer: 3 Min.
Helmut Scholz - Europaabgeordneter der LINKEN und Vorstandsmitglied der Europäischen Linkspartei.
Helmut Scholz - Europaabgeordneter der LINKEN und Vorstandsmitglied der Europäischen Linkspartei.

ND: Eine Delegation der Linksfraktion im Europaparlament (GUE/ NGL) will in den nächsten Tagen Ägypten bereisen. Braucht das Land diesen Besuch?
Scholz: Unsere Fraktion versucht, auf eine konstruktive Positionierung des Europäischen Parlaments zu den Demokratiebewegungen in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Ostens hinzuwirken. Daneben versuchen wir, eigenständige Akzente zu setzen. Deshalb war es schnell »beschlossene Sache«, die während des Weltsozialforums in Dakar mit Vertreterinnen und Vertretern aus Ägypten besprochene Aktivierung der Kontakte und der Zusammenarbeit mit der raschen Entsendung einer GUE/NGL-Delegation zu untersetzen. Ich meine, dass der Besuch dieser Delegation nicht nur für die Linke oder Kräfte des demokratischen Aufbruchs in Ägypten wichtig ist, sondern für das Land generell. Dabei muss die europäische Unterstützung für die Umgestaltung aktiv und konstruktiv, aber keinesfalls bevormundend sein. Sie muss Raum für selbstbestimmte Entwicklung lassen. Diese Forderung richtet sich übrigens an alle europäischen Akteure, an die EU-Institutionen, die Staats- und Regierungsspitzen, politische Parteien, Stiftungen und Gewerkschaften, nicht zuletzt an die sehr unterschiedlichen Nichtregierungsorganisationen.

Wen sieht Europas Linke als Partner in Ägypten?
Wir müssen uns zunächst einmal mit der realen Situation im Lande vertrauter machen und eigene Eindrücke gewinnen. Schließlich ist auch die GUE/NGL gefordert, sich zu Schritten der EU, der Politik der EU-»Außenministerin« und der Außenministerien der 27 Mitgliedsstaaten zu positionieren. Wie soll die auch von uns geforderte Neuausrichtung der europäischen Nachbarschaftspolitik mit den Ländern des Mittelmeerraums und Nordafrikas konkret aussehen? Dazu wollen wir auch die Meinungen derjenigen hören und berücksichtigen, die als gleichberechtigte Partner einer solchen neuen Kooperation in Frage kommen.

Wie schätzen Sie die Rolle linker und progressiver Kräfte in Ägypten ein?
Sie waren bislang sehr schwach entwickelt. Die Demokratiebewegung in Ägypten war und ist sicherlich nur als plurale Bewegung von Menschen zu verstehen, die »einfach« gesagt haben: Es reicht! Zu viele Zukunftshoffnungen der jungen Generation wurden vom Mubarak-Regime bitter enttäuscht, die soziale Polarisierung spitzte sich zu, die Zahl der Widersprüche, die die Führung nicht mehr kitten wollte und wohl auch nicht mehr konnte, wuchs. Nach Jahren folgsamer Adaption neoliberaler Wirtschaftspolitik und musterschülerhafter Entfesselung der nahöstlichen »kleinen Tiger«-Mentalität war das zu erwarten.

Die EU und ihre Mitglieder räumen heute selbstkritisch ihr falsches Herangehen an die Staaten in Nordafrika und im arabischen Raum ein. Ist das nicht scheinheilig?
Scheinheilig ist untertrieben. Die politischen und ökonomischen Beziehungen aller EU-Mitgliedsstaaten – aber auch der USA und Russlands – zum Mubarak-Regime waren ausgesprochen intensiv. Ägypten spielte und spielt eine zentrale Rolle in dem komplexen und vielleicht kompliziertesten aller Weltkonflikte, dem Nahostkonflikt. Natürlich muss dem auch die Linke in Ägypten und in Europa Rechnung tragen, angefangen von der Bewertung von Ägyptens einstigem Präsidenten Nasser über Mubaraks Politik gegenüber Israel und dessen Verantwortung für die Blockade des Gaza-Streifens bis hin zur eigenen Politik gegenüber den Palästinensern dort.

Die EU darf jetzt nicht mit erneuter Einflussnahme auf eine – sich erst entwickelnde – Zivilgesellschaft Strukturen im eigenen europäischen Interesse und nach hiesigen Mustern aufbauen, sondern vor allem durch die Neufassung der eigenen Partnerschaftspolitik Voraussetzungen dafür schaffen, dass eine sich selbst organisierende und demokratisch verfasste ägyptische Gesellschaft entscheiden kann, wie sie sich in die künftige Zusammenarbeit mit der EU einlassen will und kann.

Fragen: Uwe Sattler

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