Ratten 07

Endstation Reichtum

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Verdirbt Geld den Charakter? In der bitterbösen Satire »Wegen Reichtum geschlossen« von Tankred Dorst lautet die Antwort eindeutig »Ja«. Das Obdachlosentheater Ratten 07 zeigt das Stück um die beiden Imbissbudenbetreiber Rosa und Max, die von einem Tag auf den anderen zu Lotto-Millionären geworden sind, als schrille Komödie mit bitterem sozialkritischen Unterton.

Dabei wähnt sich das Ehepaar zu Anfang im Paradies, tobt sich aus in einem lauten Glücksrausch. Elf Millionen Euro haben die beiden gewonnen – nun soll Schluss sein mit dem täglichen Überlebenskampf, mit dem Verkauf von Zeitungen, Backwaren und Getränken in der engen Imbissbude. Die letzte Ware wird verschenkt, »Wegen Reichtum geschlossen« steht ab sofort an der Tür.

Die verhärmte Rosa und der feiste, laut polternde Max, beide um die 50, beschließen, ihr Leben zu ändern, im Luxus zu schwelgen und auf Reisen zu gehen. Doch wohin? Schon da kommt es zu Diskussionen – Rosa will nur nach Fürth, Max in den Süden. Man mietet einen Chauffeur an, zieht ins Nobelhotel und kauft einen stillgelegten Bahnhof. Der füllt sich mit all dem nutzlosen Kram, den sich die beiden anschaffen – Pelzmäntel, Kinderwagen und Schmuck für Rosa, Oldtimer, Ritterrüstungen, Waffen und ein »Pferdle« für Max – ja sogar eine Artilleriegranate.

Bald stapeln sich Kisten über Kisten in ihrem Domizil, derweil die menschlichen Umgangsformen der beiden in gleichem Maße abnehmen wie die Geldstapel. Sie tyrannisieren Bedienstete und Zufallsbekanntschaften und machen sich gegenseitig das Leben zur Hölle. Beide trinken über die Maßen, und während Max zunehmend paranoid und jähzornig durch sein Warenlager schleicht, immer in der Angst, bestohlen zu werden, zieht sich Rosa in eine Traumwelt zurück. Ihr größter Wunsch, ein eigenes Baby, lässt sich mit Geld ohnehin nicht erfüllen ...

Was als Komödie mit derbem Witz und grellen Parodien auf das Kiez-Leben und seine Bewohner beginnt, wird mit fortschreitender Spieldauer zur Persönlichkeitsstudie – wobei sowohl das entwurzelte Ehepaar seziert wird als auch die materialistisch geprägte Gesellschaft als Ganzes. Die beiden Hauptdarsteller Christa und Ahmad, beide seit Jahren feste Mitglieder des Ratten 07-Ensembles, geben das zu plötzlichem Reichtum gekommene Kioskehepaar voll Spiellust und Temperament. Sie windet sich mit orange-gelben Haaren kokett und unsicher zugleich durch die ungewohnte Rolle als Wohlstandstussi, behält aber doch einen Rest Anständigkeit bei, während ihr Mann quasi übergangslos zum tyrannischen Despoten wird, der skrupellos sein Umfeld manipuliert und überall Verrat wittert.

Tankred Dorst hat mit »Wegen Reichtum geschlossen« ein Lehrstück über eine deformierte Gesellschaft geschrieben – und trotz einiger Längen vor allem im zweiten Teil haben die Ratten 07 unter der Regie von Gunter Seidler das Stück adäquat als schwarzhumorige Tragikkomödie umgesetzt, inklusive schriller Einlagen und clownesker Nummern. Subtil ist das nicht, dafür Volkstheater im besten Sinne.

Wieder 3.-5. und 10.-12.März, 20 Uhr, Acud, Veteranenstr. 21, Mitte; Karten unter Tel.: 44 35 94 97

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -