Wien toppt die Libyen-Sanktionen der EU
Österreichische Nationalbank sperrte Konten eines unbescholtenen Geschäftsmannes
Mustafa Zarti ist österreichisch-libyscher Doppelstaatsbürger. Seit seinem 14. Lebensjahr ging er in Wien zur Schule. Sein Vater arbeitete im OPEC-Gebäude am Donaukanal. In Wien war es auch, wo Zarti während des Studiums Saif Gaddafi, Sohn des libyschen Revolutionsführers, kennenlernte, den er zu seinen Freunden zählt. Später machte der Austro-Libyer bei der LIA-Investmentgruppe Karriere und brachte es dort bis zum stellvertretenden Vorsitzenden.
Die LIA ist eine Art Staatsfonds, der in Beteiligungen an europäischen Firmen investiert. Insbesondere hält sie teilweise starke Aktienpakete am italienischen Bankhaus UniCredit, dem Autobauer Fiat, an der britischen Mediengruppe Pearson, zu der u. a. »Penguin Books« und die »Financial Times« gehören, sowie dem österreichischen Ziegelhersteller »Wienerberger«. Zarti ist zudem Manager des Ölkonzerns »Tamoil«.
Mit der Sperre der Konten des Austro-Libyers hat die Nationalbank die ohnedies fragwürdigen Vorgaben der EU-Maßnahmen gegen Mitglieder der Gaddafi-Familie vom 2. März, die 26 Personen umfasst, noch erweitert. In einer knapp 20-zeiligen Verordnung entzieht sie dem Geschäftsmann »zur Wahrung der auswärtigen Interessen Österreichs (...) mit Zustimmung des Bundeskanzlers« seine ökonomische Lebensbasis. In einer ersten Reaktion sprach Zarti von einem »Witz« und kündigte eine Amtshaftungsklage gegen die Republik Österreich an. Von seiner Funktion als Vizevorsitzender der LIA sei er zurückgetreten, weil derzeit »die Arbeitsumgebung nicht wirklich gesund ist«, wie er in einem ORF-Interview meinte.
Peter Launsky-Tieffenthal vom österreichischen Außenministerium bestätigte gegenüber ND, dass eine solche Maßnahme jederzeit von der Nationalbank eingeleitet und ohne legislative Beratungen umgesetzt werden könne. Wie oft ein solch tief greifender Einschnitt in das Leben eines Staatsbürgers in den vergangenen Jahren stattgefunden hat, darüber wollte man auch in der Nationalbank keine Auskunft erteilen. Juristisch liegt in Österreich gegen Zarti nichts vor, musste Innenministerin Maria Fekter betonen: »Er kann sich ohne Einschränkungen bewegen.«
Wie es dann sein kann, einem Unbescholtenen mit einem einzigen Federstrich den Zugriff auf sein Geld zu verwehren, erklärt sich nur aus der Logik solcher Terrorlisten (auch wenn Zarti auf ihr gar nicht aufgeführt ist). Ein solches »Listing« ist nämlich nicht Folge eines juristischen Verfahrens, sondern geht einem solchen voraus bzw. kommt auch ganz ohne dieses aus. Dieses System, das seit den Anschlägen in New York und Washington sowohl auf Ebene der UNO, der EU und der USA existiert, stellt die Grundsätze des bürgerlichen Rechtsstaates auf den Kopf. Nach dem Motto: Zuerst wird ein möglicher Verdächtiger immobilisiert und kaltgestellt, um dann in Ruhe nachzusehen, ob an ihm etwas Strafbares dran ist.
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