Angstfiguren
Michael Morgner – zwei Ausstellungen und ein Buch
Erstarrung, Angst und Pein waren die Lehrmeister einer Künstlergeneration, deren Kinderzeit noch in die Strudel eines um Jahre zu spät verendeten Krieges geriet und deren Jugend brutalen Anspannungen ausgesetzt war. Ästhetische Bewältigungsstrategien: Bei Werner Tübke eine sterile Egozentrik, bei Wieland Förster eine animistische Beschwörung der geschundenen Kreatur. Auch die Werke der um ein Jahrzehnt Jüngeren stehen noch im Kernschatten dieser Ereignisse: die wie verätzte Mumien aussehenden Akte Lothar Böhmes und auch die starren, aschfarbenen Figurensegmente des Chemnitzers Michael Morgner. »Angstfiguren« nennt er sie selber.
Die Unterschiede zwischen physischer Bedrohung und spiritueller Verödung legt der Künstler in einem Begleitbuch zur Ausstellung in den Kunstsammlungen Chemnitz dem Gesprächspartner Peter Iden auseinander: »Ich denke, dass es den Menschen womöglich noch nie so gut gegangen ist wie heute. Und doch ist eine Angst in allen. Es gibt heute Empfindungen der Angst um alles, vielleicht auch weil man zu viel von allem hat.«
Das schön gestaltete Buch listet alle Werke im Bestand der Kunstsammlungen auf. Auch frühe Bilder, die noch im Banne Georges Rouaults stehen, sind farbig wiedergegeben. In jenem bereits zitierten Gespräch mit Iden erinnert der Künstler auch an das Possenspiel der X. Kunstausstellung der DDR, als die Offiziellen nicht mehr auf die jahrelang schikanierte Subkultur verzichten wollten und Bilder von Künstlern, die nun ihrerseits nicht mehr teilzunehmen bereit waren, mit allen möglichen Tricks zu beschaffen versuchte. Ein Beitrag von Morgner war nicht zu sehen.
Der Zyklus »Einsiedel 5. 3. 1945« (1985/86) ist das erste Mal zusammenhängend zu sehen. Der Heimatort des Künstlers, heute zu Chemnitz gehörend, wurde durch einen Bombenangriff nahezu ausgelöscht. Schatten der Flugzeuge, der Keller und die Abdrücke der Opfer lassen das Bild zu einem Requiem werden. »Jüdisches Requiem« (2000) führt diesen Anspruch dann schon im Titel.
Etwas aufdringlich und bemüht wirkt die Symbolik des großen Davidsterns darauf, wie auch die Fotoüberarbeitung des »Selbstporträt, 13. 1.06«. Friedrich Nietzsche kritisierte an Wagners Weihfestspiel »Die Heraufkunft des Schauspielers in der Musik.« Auch der Chemnitzer Künstler greift in alle Register der großen Orgel. Nietzsche sagte: »Ich glaube, dass die Künstler oft nicht wissen, was sie am besten können: sie sind zu eitel dazu. Ihr Sinn ist auf etwas Stolzeres gerichtet, als diese kleinen Pflanzen zu sein scheinen, welche neu, seltsam und schön, in wirklicher Vollkommenheit auf ihrem Boden zu wachsen wissen.«
Die dichten Tuschezeichnungen, die im Untergeschoss der »Galerie Oben« auf dem Chemnitzer Kaßberg zu sehen sind, führen dann tatsächlich in das, im Ausstellungstitel angekündigte, »innere Reich« von Michael Morgners Kunst. Es stimmt ein wenig traurig, dass dieses Reich zumindest chronologisch mit der tristen DDR scheinbar identisch sein muss. Keine der großen Tafeln, die im Oberlichtsaal der Chemnitzer Kunstsammlungen wie ein Bühnenbild wirken, kann so überzeugen wie diese Suite von gleichformatigen überschaubaren Tuschblättern. Der Künstler wird wissen, warum sie unverkäuflich sind. Im Gegensatz zu anderen Werken. Aus der noblen Reserve seiner auf Beobachtung ruhenden Bildsprache ist inzwischen auch eine käufliche Kunst geworden. Für diesen Umschwung ist weniger kennzeichnend, dass seine Gestalten nun als riesige Stahlskelette vor Firmenzentralen und Bankgebäuden stehen, als vielmehr, dass sie unverkennbare Marke wurden. Auswechselbare Leere.
»Michael Morgner – Bilder 1985-2008« Kunstsammlungen Chemnitz, bis 20. März, Di-So, Feiertage 11-18 Uhr, Katalog.
»Michael Morgner – Das innerste Reich« Galerie Oben, Chemnitz, bis 18. März.
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