Gute Bildung, leichte Beute

Armutsbericht über die soziale Lage freier Theater- und Tanzkünstler

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Freie Theater- und Tanzkünstler tragen ungemein zur starken internationalen Ausstrahlung Berlins bei. Dieser Satz gehört zur Grundausstattung der Sonntagsreden von Politikern. Er ist deshalb nicht falsch. In eklatantem Widerspruch zu dieser allseits beschworenen und geschätzten Wirkung der Künstler jedoch stellt sich deren wirtschaftliche Lage dar. Obwohl überdurchschnittlich gebildet, verfügen sie über unterdurchschnittliche Einkommen. Ihnen werden aufgrund ihrer branchenbedingt nicht kontinuierlichen Beschäftigung schlechtere Zugänge zu Sozialleistungen eingeräumt. Dennoch ist jeder Dritte von ihnen teilweise oder dauerhafter Bezieher von Transferleistungen. Und vor der Zukunft müssten sich die meisten von ihnen ebenfalls fürchten: Aufgrund geringer Rentenleistungen droht ihnen die Altersarmut.

Dies alles ist mehr oder weniger bekannt. Schon 2001 hatten die französischen Autorinnen Anne und Marine Rambach das »Prekariat der Intellektuellen« beschrieben. 2006 fragte eine Berliner Band bezüglich der Künstler: »Ist das noch Bohème oder schon die Unterschicht?«

Der mehr als 700 Seiten schwere »Report Darstellende Künste«, der Ende letzten Jahres vom Fonds Darstellende Künste herausgegeben wurde, belegt dieses bislang eher erfühlte und erlittene Wissen nun für den Bereich von Tanz und Theater mit Zahlenmaterial. Der Report steht zudem im Mittelpunkt neuer kulturpolitischer Aktivitäten und wird am 13. März ab 12 Uhr in einer Matinee im Radialsystem diskutiert.

Laut der Untersuchung, die von der Berliner Soziologin Susanne Kreuchel vorgenommen wurde, sind Regisseure und Schauspieler, Tänzer und Choreografen außerordentlich gut ausgebildet. 62 Prozent von ihnen haben ein Studium beendet, weitere 24 Prozent Abitur oder Fach(hoch)schule besucht. Nur 17 Prozent sind ohne Hochschulreife.

Obwohl es sich bei denen, die die Bühnen bevölkern, also vornehmlich um Akademiker und Abiturienten handelt, bleiben ihre Einkünfte unter dem Mittelmaß. Sie verdienen pro Jahr zwischen 11 856 und 12 822 Euro (abhängig davon, ob sie bei der Künstlersozialkasse versichert sind), während das Durchschnittsnettoeinkommen aller Arbeitnehmer bundesweit im Vergleichsjahr 2006 genau 17 463 Euro betrug.

Kreuchel befragte 1970 Künstler in ihrer Studie. Sie stellte fest, dass jeder Dritte der freien Künstler Managment- und Leitungsfunktionen ausübte und daher zumindest partiell auch als Arbeitgeber tätig war. Diese Information bestätigt die Tendenz der Flexibilisierung und Prekarisierung, also der Zunahme an Eigenverantwortung bei geringer werdender Bezahlung, die die ganze Gesellschaft ergreift, und für die die freien Künstler als Modell genommen wurden.

In einem Vergleich mit der letzten ähnlich umfangreichen Studie zur Lage der Künstler aus dem Jahre 1973 fand Kreuchel überraschenderweise heraus, dass die Künstler in den letzten dreieinhalb Dekaden stärkere Einbußen erleiden mussten als die Gesellschaft insgesamt.

1973 verdienten Künstler etwas besser als durchschnittliche Arbeitnehmer; selbstständige Künstler erzielten sogar höhere Einnahmen als die Selbstständigen insgesamt. »Der Zeitvergleich widerlegt die Mär vom am Hungertuch nagenden Künstler«, konstatiert die Soziologin. Künstler sind nicht automatisch arm. Vielmehr beeinflussen von der Politik gestaltete und verantwortete Rahmenbedingungen ihre Situation erheblich.

Daher will Günter Jeschonnek, Geschäftsführer des Fonds Darstellende Künste und Mitherausgeber des Reports, diese gewichtige Studie auch zum Auslösen politischen Handelns nutzen. »Angesichts der erschütternden Tatsachen insbesondere des Einkommensniveaus unterhalb der Armutsgrenze, der sozialen Unsicherheiten und Ungerechtigkeiten sowie der sehr niedrigen Alterseinkünfte ist die Politik aller Ebenen gefordert, sich für bessere Rahmenbedingungen und somit langfristige Perspektiven für die hoch qualifizierten und motivierten Theater- und Tanzschaffenden einzusetzen«, sagte er ND. Von der Bundespolitik fordert er eine Anpassung der sozialen Sicherungssysteme, auf Kommunal- und Landesebene sollten die Künstler durch Komplementärförderungen gestützt werden, so Jeschonnek.

»Die Problemlage ist uns bewusst«, sagt Torsten Wöhlert, Sprecher der Berliner Senatskulturverwaltung. »Es gibt in der Kultur ein Missverhältnis zwischen den institutionell geförderten Bereichen und der freien Szene.« Um dieses historisch gewachsene Missverhältnis zu beseitigen, sieht Wöhlert zwei prinzipielle Wege: Entweder man erhöhe den Kulturhaushalt oder man sorge für eine Umverteilung. Die erste Option sei wegen der verordneten Schuldenbremse extrem unwahrscheinlich. Die zweite wegen der Beharrungskräfte innerhalb der Kultur zumindest schwierig. »Prinzipiell ist es aber kein falscher Gedanke, dass Personen, die mit öffentlichen Geldern für eine Vollzeittätigkeit gefördert werden, von diesen Geldern auch leben können«, erklärt Wöhlert.

13. März, 12 Uhr, Radialsystem

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