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Hamburger Nestkälte
Das Obdach-fertig-los-Theater hat ein neues Stück von Gerhard Arland im Programm
Auf dem Programmheftfoto hocken fünf Amselküken eng beieinander. Diese Gemeinschaft schützt sie vor allen Unbilden und die Eltern werden mit Futter kommen. Eines Tages aber fliegen sie auf und davon. Selbstständig, frech und vor ihnen die Welt. Wenn keine Katze dazwischen kommt.
Das Bild könnte treffender nicht sein. Die fünf Menschen, die in Gerhard Arlands neuem Stück für das Obdachlosentheater Hamburg jetzt Premiere feierten, werden auch von ihrer Gemeinschaft gestützt. Die ist ihre Nestwärme. Dass es jedoch für Leute, die »Platte machen«, alles andere als kuschelig gemütlich ist, suggeriert die Verdrehung des Stücketitels in »Nestkälte«. Eventuell werden sie, um die es geht, eines Tages genauso vogelgleich davonfliegen, den Start schaffen in ein Leben mit Wohnung. Oder nicht?
Erinnerung an Tucholsky
Vielleicht ist der Schluss von Arlands sieben Szenen ein wenig optimistisch: Der intelligente Axel (Gerhard Arland), der Philosoph der Gruppe, geht zurück zu seiner Frau, um ihr beizustehen nach dem Drogentod des Sohnes. Seine frühere Konfliktunfähigkeit und seine Amouren waren Gründe für die entstandene Situation. Marion und Holger, das Ehepaar (Antje Reinhardt/Volker Boeken), entscheiden sich, es doch mit dem Wohnen im Containerdorf zu versuchen. Marion könnte dort sogar wieder eine Katze haben, wie früher, bevor ihr Mann zu saufen anfing. Vera (Astrid Nicolaus) hat den Entzug geschafft, den Platz bekam sie so schnell, weil sie schwanger ist. Sie freut sich ziemlich euphorisch auf ihre Zwillinge. Und Johnny (Ilona Schoof), dessen Spruch »im Moment nich« seine Bescheidenheit und Begrenztheit anzeigt, macht endlich die Dose Bier auf, den »halben Liter Genuss«, den er so lange wie möglich noch vor sich haben wollte.
Ein bisschen ist es am Schluss wie bei Kurt Tucholskys »Und darum wird beim happy end/ im Film jewöhnlich abjeblendt«. Dabei sind dem Autor durchaus Typen gelungen. Er durchmischt den Text von »Nestkälte«, der an keiner Stelle auf Stelzen daherkommt, mit Fakten und einem liebenswerten, trockenen Humor. Er erspart den Zuschauern die Frage nicht, die in wohl situierten Kreisen kursieren mag, ob die da unter der Brücke nicht durchaus zufrieden seien mit ihrer Rundumversorgung durch Caritas, 23 Essenausgabestelle und elf Kleiderkammern (in Hamburg). Und fast wird es philosophisch, wenn einer der Protagonisten die Tatsache erörtert, dass der Mensch nicht nur wollen, sondern auch »wollen können muss«, um einen Weg aus seiner Lage zu finden. In »Nestkälte« finden sie alle einen Weg – und das ist fast zu schön, um wahr zu sein. Alle Schauspieler jedoch sind mit dem Herzen dabei, denn sie wissen, wovon sie reden. Von den 15 Ensemblemitgliedern hat die Hälfte selbst mindestens einmal auf der Straße gelebt. Reich ist bis heute keiner von ihnen geworden, die meisten leben allein von der gesetzlichen Grundsicherung. Dass sie nicht einsam sind, dafür haben sie das Obdach-fertig-los-Theater, das für die Premiere und die Hochachtung verdienende schauspielerische Leistung, die keiner dramatischen Gesten bedarf (Regie: Maja Feil), sehr herzlichen und langen Beifall erhielt.
Gerhard Arland ist Jahrgang 1941 und ein echter Hamburger Jung. Er hat in der Hansestadt die Mittelschule absolviert und Exportkaufmann gelernt. Bis 2006 arbeitete er als Exportmanager für die Märkte Nahost, Australien und Neuseeland in einer Hamburger Firma, die Spezialtransformatoren herstellt.
Im Unruhestand
Jetzt macht Arland seinen Ruhestand zum Unruhestand, indem er sich im Verein rund um das Obdachlosentheater engagiert und Texte schreibt. »Nestkälte« ist bereits sein fünftes Stück für das Obdach-fertig-los-Theater.
Die nächsten Aufführungen von »Nestkälte«: 26. März 2011 Ro-tenburg/Wümme; 11. April Husum; 11. Juni Flensburg. Weitere Informationen stehen im Internet unter:
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