Tyranneien im Vergleich
Insassen der Jugendstrafanstalt Berlin spielen »Krabat Ganz in Weiss«
Am Ende steht Krabat mit nur einem halben Stock da. Ausgerechnet beim Endkampf, als der junge Held und der böse Müllermeister um Leben und Tod fechten, macht es »knack«: Krabats Stock ist nur noch ein Stöckchen, alle lachen – bis der Regisseur brüllt »Zieht durch! Spielt weiter!« Das tun sie und sind nach dem Finale stolz, die zehn jungen Männer aus der Jugendstrafanstalt (JSA) Plötzensee. Haben sie doch mit der Theaterproduktion etwas bis zum Ende durchgehalten, manche von ihnen zum ersten Mal.
»Krabat Ganz in Weiss« heißt die neue Inszenierung des Gefängnistheaters aufBruch, das seit nunmehr 14 Jahren Theater mit erwachsenen und jugendlichen Strafgefangenen macht. In diesem Fall mit zehn Insassen der Jugendstrafanstalt Berlin, alle sind zwischen 18 und 22 Jahre alt. »Wegen Schwarzfahrens ist keiner hier. Da muss schon einiges zusammenkommen, bis man hier landet, wir sind schließlich ein exklusiver Club«, sagt Anstaltsleiter Marius Fiedler trocken.
Exklusiv war für die jungen Männer auch die Erfahrung, Theater zu spielen. Von den zehn Insassen, die am ersten Casting-Wochenende ernstes Interesse signalisierten, sind alle noch dabei, auch wenn einer kurz vor der Generalprobe krank zu werden drohte. »Lampenfieber«, erklärt Regisseur Peter Atanassow, gleichzeitig Leiter des aufBruch-Projekts. »Er macht aber trotzdem mit.« Es ist nur zu erahnen, wie viel Überredungskunst ihn das gekostet hat. »Etwas durchziehen, obwohl einem mulmig ist, oder trotz Kopfweh zur Arbeit zu gehen, das kennen die meisten von zu Hause gar nicht«, weiß Atanassow. Er hat schon viele Stücke mit Gefangenen inszeniert, mit erwachsenen Straftätern ebenso wie mit jugendlichen.
Für das neue Stück hat er zweieinhalb Monate lang mit den jungen Delinquenten geprobt. Jedes Wochenende und zweimal in der Woche nach der Arbeit standen Bewegungs-, Text- und Sprechtraining oder Stockkampf auf dem Programm. Dazu gehört Disziplin – zumal sich aufBruch nicht als sozialpädagogisches Projekt versteht, sondern eine künstlerische Motivation hat. »Am Ende müssen die Jungs auf der Bühne stehen und ihren Text können, fertig.«
Dabei ist der Text nicht einfach: Die Inszenierung mixt in Collagenform Textfragmente aus Jurij Brezans Erzählung »Die schwarze Mühle« und Rainer Werner Fassbinders vielstimmigem Hörspiel »Ganz in Weiß«, in dem es um die Situation schwer erziehbarer Jugendlicher in den bundesrepublikanischen Heimen der 1970er Jahre geht. Es geht um Freiheit und Eingesperrtsein, um Autorität und Aufstand – Themen also, mit denen sich die jungen Männer identifizieren können. Fast alle von ihnen kommen aus schwierigen Verhältnissen, waren noch nie im Theater; da ist es wichtig, thematische Parallelen aufzuzeigen. Und für die Zuschauer, die das Stück in einer Welt sehen, zu der sie sonst keinen Zutritt haben, erlangt der Vergleich der beiden Autoritätsmodelle – zum einen die Tyrannei des Müllermeisters, zum anderen die hilflose staatliche Verwahranstalt – besondere Brisanz.
Krabat immerhin, der Waisenjunge aus dem sorbischen Märchen, schafft es am Ende, sich gegen den Müllermeister durchzusetzen und seine Freiheit wiederzuerlangen. Abed, ein dunkel gelockter, muskulöser junger Mann, gibt den Müller durchaus glaubwürdig als Mischung aus dämonischem Zauberer und herrschsüchtiger Vaterfigur, während die Rolle des Krabat auf verschiedene Spieler verteilt wird. Den zwischendurch zu Wort kommenden Heimerzieher gibt Markus, ein großer, schlaksiger Typ mit Brille, der eher aussieht wie ein Jura-Student denn wie ein Häftling. Zwischendurch gibt er Kostproben aus Reinhard Meys »Über den Wolken« zum Besten.
Ob die Haft in der Jugendstrafanstalt, immerhin zwei bis sechs Jahre, den jungen Männern auf ihrem Weg zurück in die Gesellschaft helfen kann, wird die Zukunft zeigen. Das Theaterspielen jedenfalls ist für die Darsteller, die nach der Generalprobe entspannt durcheinanderreden, »eine ganz neue Erfahrung«, so Rammel. »Mir haben die Kampfszenen am besten gefallen«, strahlt Florian, seine Mitgefangenen nicken. »Draußen«, ist man sich einig, hätte man so etwas nicht gemacht.
16., 18., 21., 23. und 25. März, 17.30 Uhr, in der JSA Berlin, Friedrich-Olbricht-Damm 40, Plötzensee; Persönliche Anmeldung und Ausweis erforderlich, Tel. (030)-24 06 57 77
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.