Musik machen mit Plastiktüten

Schüler lernen im Rahmen des Projekts »Querklang« das Komponieren

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Tüten rascheln, Papier knistert, Schneebesen fahren an Küchenreiben entlang, Löffel klappern an Keksdosen. Schülerinnen und Schüler einer 6. Klasse des Heinrich-Hertz-Gymnasiums in Friedrichshain lernen im Rahmen des Projekts »Querklang« zu komponieren und benutzen dabei höchst profane Haushaltsgeräte. Die entstehenden Klangstrukturen sind so interessant, dass sie zusammen mit den Kompositionen von vier weiteren Schulklassen im Rahmen des ambitionierten Festivals für zeitgenössische Musik, MaerzMusik, im Foyer des Kammermusiksaals der Philharmonie aufgeführt werden.

»Unsere Musiklehrerin hat uns auf die Idee gebracht, Zeitungspapier und Plastiktüten zu benutzen. Dann haben wir aber selbst ausprobiert, was man damit alles anfangen kann«, erklärt die Schülerin Lisa Marie.

Die Kompositionen stammen tatsächlich in erster Linie von den Schülern, versichert die Komponistin Makiko Nishikaze. Die japanische Künstlerin, die derzeit Komposition an der Universität der Künste unterrichtet, vergleicht ihre Tätigkeit bei »Querklang« mit der eines Schäfers: »Ich passe auf alle auf und sage ihnen, wo die Blumen und das Gras sind. Dann laufen sie los und entwickeln etwas Überraschendes.« Zwei Mädchen haben sich Papier um den Körper gebunden und machen darauf Musik. Eine Gruppe von fünf Jungen wählte Plastiktüten unterschiedlicher Konsistenz und lässt diese mal zart durch die Luft schweben und erzeugt mit anderen härtere und lautere Klänge. Hitverdächtig ist ein anderes Jungsquintett, das seine Vorführung mit einem Doppelduell aus Küchengeräten beginnt, dann eine Percussionperformance mit Keksdosen anbietet und schließlich gemeinsam mit einem zusammenstürzenden Klangturm zu Boden sinkt.

Der ungewöhnliche Unterricht macht den meisten Kindern sichtlich Spaß. Nicht alle wollen deshalb komplett auf den herkömmlichen Musikunterricht verzichten, »aber so eine Abwechslung ist immer gut«, meint Emma.

Auffällig sind auch die sekundären Kompetenzen, die die Kinder in diesem Projekt erwerben. Differenziert üben sie nach den Vorstellungen Kritik aneinander. Sie lernen, sich gegenseitig zuzuhören. Die 30 Schülerinnen und Schüler bekommen es sogar fertig, sich relativ schnell auf eine Gesamtkomposition, also die Reihenfolge der Stücke der sechs unterschiedlichen Arbeitsgruppen, zu einigen. 30 Erwachsene würden eine solche kollektive Entscheidungsfindung nicht unbedingt besser absolvieren. Daher ist auch der Gewinn für die älteren Projektbeteiligten beträchtlich.

»Ich habe erfahren, dass ich den Schülern mehr Raum geben kann, dass sie durchaus selbst etwas gestalten können«, bilanziert Musiklehrerin Marlies Duwe.

»Ich halte so ein Projekt für absolut notwendig, denn jeder Einzelne lernt dabei, wieder auf den anderen zu hören und etwas Neues auszuprobieren. Es handelt sich dabei um Kommunikation pur. Und das ist etwas, was oft zu kurz kommt«, äußert sich Iris ter Schiphorst, die sich als Komponistin an einer früheren Runde von »Querklang« beteiligte und jetzt in der Gesamtprojektleitung engagiert ist.

»Querklang« wurde bereits im Jahr 2002 aus der Taufe gehoben. Pro Schuljahr werden fünf Klassen unterschiedlicher Altersstufen und Schultypen aus verschiedenen Bezirken ausgewählt und mit je einem Komponisten zeitgenössischer Musik zusammengebracht. »Wir achten darauf, dass jedes Mal eine Schule und ein Komponist aus dem vorangegangenen Zyklus dabei sind, und dass die Vielfalt der beteiligten Klassen so groß wie möglich ist«, erklärt Kerstin Wiehe vom Organisationsteam.

Dieses Jahr reicht die Palette von der 1. Gemeinschaftsschule Neukölln auf dem Campus Rütli über das Friedrichshainer Heinrich-Hertz-Gymnasium – eine Spezialschule für Mathematik –, die musikbetonte Humboldthain-Grundschule und das musisch ausgerichtete Charlottenburger Berggruen-Gymnasium bis hin zur Johann-August-Zeune Schule für Blinde. Das Projekt greift auf Ideen und Modelle aus England und Österreich zurück, erfährt in Berlin aber eine Erweiterung durch die Einbeziehung von Musik- und Musikpädagogik-Studenten. Die Vielschichtigkeit der Impulse durch die Schüler, die Studenten, die Komponisten und die Fachlehrer bewerten alle Beteiligten als den größten Gewinn von »Querklang«.

Im nächsten Jahr könnte die Initiative einen historischen Höhepunkt erreichen: Dann ist eine frühere »Querklang«-Schülerin mit ihrem Studium an der Universität der Künste so weit, dass sie das Projekt selbst als Studentin betreuen könnte. Bis dahin sind aber noch einige Formulare für EU-Fördermittel auszufüllen. Vor allem gilt es, den Ergebnissen dieses Jahres bei den zwei Konzerten am 21. und 22.3. im Kammermusiksaal der Philharmonie die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.

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