Wildern beim Comic

Spiel und Zeichnen im Festival »Reality Kills« im und um das Maxim-Gorki-Theater

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Spiel mit Comic-Charakteren auf Bühne und Wiese
Spiel mit Comic-Charakteren auf Bühne und Wiese

Das Gorki-Theater geht auf Beutezug. Nachdem die des herkömmlichen Dramas ermüdeten Bühnenregisseure sich in den vergangenen Jahrzehnten gern bei der Romanliteratur, dem Film und dem schnöden Alltag bedient haben, um dort Sinn- und Formbausteine für ihre Inszenierungen zu finden, erschließt das von Armin Petras geführte Haus jetzt ganz neue Ressourcen. Es geht beim Comic wildern. Junge, hippe Zeichner stellen im Rahmen des Festivals »Reality Kills. Kriegsbilder im Comic und auf der Bühne« große weiße Papierwände im Foyer des Gorki-Studios auf und lassen die Stifte nur so über die Oberflächen fliegen. In der Installation »Kaleidoskop« auf dem Platz vor dem Theater fliegen von Hamed Eshrat gezeichnete Vignetten durch einen glänzenden Metalltrichter und fügen sich durch Spiegelung zu einer Neunfachmatrix. Der Jugendklub des Gorki zeigt pantomimisch dem Superheldencomic »Kick Ass« abgeschaute Prügelszenen auf der Wiese im Hof des Theaters. Gestandene Mimen spielen im Innenraum Comic-Charaktere nach, mit denen sie selbst zum Teil sozialisiert wurden. Bis zum Samstag nimmt das Festival Bühne, Studio, Parkplatz und Freifläche vor dem Theater in Beschlag.

Die Verbindung von Theater und Comic ist natürlich clever gedacht. Comic wird allgemein als Profankultur wahrgenommen. Das Genre hat Popstars hervorgebracht, an denen der sich der Hochkultur zugehörig führende Akteur sich reiben möchte, mit deren Glanz sich der Nischenprotagonist aber auch neues und junges Publikum heranziehen könnte. Nun ja, und so grell und bunt und schrill wie mancher wild bemalte Zeichenkarton will Theater zuweilen eben auch sein.

Paradoxerweise beziehen sich viele Beiträge des Festivals dann aber weder auf den opulent schreienden und gern gewalttätigen Comic-Mainstream noch auf die von Disney vermarkteten Klassiker oder ihre französischen Konkurrenten, sondern auf eine kargere, mit reduzierten schwarzen Strichen operierende und wesentlich nachdenklicher wirkende Unterströmung. »Alans Krieg«, die Inszenierung zur Eröffnung des Festivals zum Beispiel, basiert auf der von Emmanuel Guibert lakonisch gezeichneten Biografie eines Soldaten, der Krieg vor allem als das Reparieren und Warten des militärischen Geräts erlebt und dessen größte Aufreger nächtliche Saufgelage der Kameraden darstellen. Dramatik entsteht – bestenfalls – im Kopf des Betrachters, der in den Riss zwischen den Bildern schaut und ihn, immerhin von den Bildern angeregt, von den Produkten des eigenen Imaginären überwuchern lässt.

Auch »Die sechs Schüsse von Philadelphia« sind nicht auf Überwältigung angelegt. Ulrich Scheel, ein an der Kunsthochschule Weißensee geformter Grafiker, erzählt recht spröde die Sommererlebnisse einer Dorfclique aus Brandenburg in den 80er Jahren. Etwas verschämte Liebe, ein gefundener Revolver und die bösen Russen tauchen darin auf. Die von Nele Weber eingerichtete szenische Lesung dieses Comics betont dann auch die Alltäglichkeit des ganzen Geschehens. Die zu erwartende Bluttat geschieht gewissermaßen nebenbei. Immerhin ist das Format der szenischen Comic-Lesung durchaus eine Entdeckung. Es entsteht ein visueller Dialog zwischen den an die Wand geworfenen Bildern der Protagonisten und den Schauspielern, die sie in Bewegung versetzen und ihnen ihre eigene Lebendigkeit verleihen.

In bizarrem Gegensatz zu den recht blutarmen Kunstcomics auf der Bühne, im Studio und den diversen Containern auf dem Gelände präsentierte sich dann die Podiumsdiskussion »War P(r)op«. Moderator Lars von Törne wollte dem Comic-Genre schlechthin eine strukturelle Neigung zu Kriegs- und Gewaltdarstellung unterstellen. Er begründete dies unter anderem an nationalistischen Superhelden wie Captain America. Diese Figur ging neun Monate vor dem Angriff der japanischen Bomberflotte auf Pearl Harbour das erste Mal über den Ladentisch und sollte Millionen US-Bürger sicherlich auf den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten vorbereiten. Der Theaterhistoriker Jan Lazardzig wies dankenswerterweise auf die vielen kriegsaffinen Theaterstücke und Truppenbespielungen dieser Zeit hin. Sie relativierten die vermeintliche Kriegslüsternheit des Comics genauso wie ein Gang in die Videothek um die Ecke, die nächste Bahnhofsbuchhandlung oder ein Zapping durch die TV-Kanäle. Der Comic-Experte Andreas Platthaus immerhin machte als Entstehungsmotiv für die Comic-Superhelden eine »Kompensationsfunktion angesichts der Unsicherheit der 30er Jahre« aus.

Ob sich mit dieser Erkenntnis viel Neues für das Theater gewinnen lässt, ist fraglich. Das Nachdenken über die Beziehungen und die möglichen Befruchtungen von gezeichneter und per gebundenem Produkt vertriebener Populärkultur und der an jedem Abend neu erzeugten und nur durch eigene Präsenz erfahrbaren Hochkultur geht bei diesem Festival nicht in die Tiefendimension. Immerhin gibt es manch schönes Theaterereignis. »Copy & Waste« nehmen jeden Nachmittag in einem plüschigen Salon die Pop-Figuren Jane Fonda alias Barbarella alias Antikriegs-Ikone und KT zu Guttenberg ohne Titel und ohne Uniform auseinander.

Bis 26.3. Gorki-Theater, täglich ab 16.30 Uhr, Am Festungsgraben 2, Infos: www.gorki.de

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