Wie der Schnabel gewachsen ist
»Volksmund«, eine Familienfarce im Heimathafen Neukölln
Wer sich als Schauspieler darauf einlässt, darf sich nicht fürchten, darf sich als Künstler für keinen Spaß zu schade sein. Denn auf der Bühne kann, ja muss er eine nicht zu bremsende Spiellust und grenzenlosen Übermut zeigen. Anders kann man ein Volksstück nicht machen. Nur mit dem Mut zur sogenannten Klamotte. Hier wird alles deutlich und bis ins Groteske betont. »Volksmund. Eine Familienfarce mit Volks(lied)gut« ist so ein Stück, uraufgeführt im Heimathafen Neukölln.
Was in »Volksmund« geschieht, das versteht jeder. Da kann auch jeder mitreden. Es geht um Familie, Zusammenhalt und auch wieder nicht, um Habsucht, Eifersucht.
Dass sich das Ganze in einer türkischen Verwandtschaft abspielt, passt hervorragend in die Landschaft und wirft ein gutes Licht auf das künstlerische Team des Heimathafens im Saalbau Neukölln. Nach und nach nahm es sich mit schauspielerischen Mitteln ernsthaft aktuellen Themen der Integration und des Zusammenlebens im Bezirk an. Dazu bezogen die Künstlerinnen auch Bewohner ein, arbeiteten gut mit Laien. Nun war es für die Theatermacher mal an der Zeit, eine Farce mit Profis zu inszenieren.
So lustig es auch zugeht, so gut durchdacht ist die im Hintergrund des Stücks aufgeworfene Frage, was Volksmund war und ist. Die Stückemacher beschäftigten sich dafür mit einem Text zum »Deutschen Volksliedarchiv«. Aus ihm geht hervor, dass die Gattung Volkslied eine Gelehrtenerfindung ist und die Geschichte des Umgangs mit dem Begriff immer eine Sache der Zuschreibungen. Das Volk indes bestimmt selbst, was es für volkstümlich hält und macht es sich zu eigen – wie ihm der Schnabel gewachsen ist. So kommen die Lieder in der Farce aus vielen musikalischen Genres und Ländern. Manchmal vermischen sie sich.
Die Schauspieler sind im Saal, bevor die Farce beginnt. Sie warten am festlich hergerichteten Tisch auf ihren Gastgeber, den reichen Onkel. Alle fünf Jahre trifft sich die große türkische Familie, deren Mitglieder in vielen Teilen Deutschlands leben und dementsprechend den Dialekt der jeweiligen Gegend angenommen haben. Onkel Behzad, weise lächelnd gespielt von Çetin Pekkaya, wird umgarnt. Man versucht, ihn für recht merkwürdige Geschäftsideen zu begeistern und will sich dabei gegenseitig ausstechen. Der Onkel ist alt, ohne direkte Nachkommen. Also nichts wie ran ans Erbe. Aber alles geht schief. Der schon immer gewitzte Onkel zeigt die rote Karte.
Die Chose passiert in einem Wirtshaus. Eine Kapelle ist engagiert. Dazu gehört Sinem Altan. Sie haut ab und an als Sibel auf die falschen Tasten am Klavier, spielt ebenso die Melodica und hat die musikalische Leitung des Stücks. Özgür Ersoy ist der Musiker Aydin mit Baglama Langhalslaute, Mey Flöte und Percussion. Der dritte im Bunde ist Mustafa Sarn als Arif für E-Bass, Gitarre und Percussion. Zudem spielt der »Onkel« Klarinette.
In den Sprech- und Gesangsrollen sind Sinan Al-Kuri als Timur und Fabian Martino als Ufuk, auch Gino genannt, in den männlichen Parts. Martino und die Sängerin Begüm Tüzemen als Nilay meistern die aus dem Klassischen kommenden Melodien. Die beiden arbeiten auch in Inszenierungen der nahen Neuköllner Oper mit.
Die Kellnerin, die sich am Ende zu aller Überraschung verwandelt, wird von Bar Öztürk gespielt und getanzt. Quirliger als alle anderen, gibt sich Sascha Ö. Soydan als Peri. Sie ist dem Publikum am bekanntesten, spielte sie doch erst im Erfolgsstück »Arabqueen« im Heimathafen. Inszeniert – wie diese Farce – von Nicole Oder, die diesmal mit Co-Autorin Elisabeth Tropper zusammen arbeitete. Das Ensemble habe selbst sehr viel eingebracht, heißt es. Das Ergebnis ist ein großer, vom Kultursenat geförderter Spaß. Wo man singt, da lass dich ruhig nieder.
Wieder 27., 28., 29.3., Heimathafen Neukölln, Karl-Marx-Str. 141, Neukölln, Kartentel.: 61 10 13 13, www.heimathafen-neukoelln.de
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