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Die Stecknadel in der Kirche
Mehr als 150 Jahre Braunkohleförderung hinterließen Spuren in der Lausitz. Bis 1993 wurden im Revier 77 Dörfer abgebaggert und zwischen 1924 und 1993 über 25 000 Menschen umgesiedelt. Zu den Verlusten zählt Bernd Jankowski auch 27 Kirchen. In einem Aufsatz für das Buch »Dorfkirchen in der Niederlausitz« beschäftigt er sich mit jenen Kirchen, die dem Tagebau weichen mussten. Zuerst sei 1962 die mittelalterliche Feldsteinkapelle in Vorberg betroffen gewesen. Es habe Bemühungen gegeben, die Kapelle auf das Gelände des Freilichtmuseums in Lehde umzusetzen. Doch daraus sei nichts geworden.
Die erste Braunkohlegrube sei 1840 bei Friedrichshain nahe Spremberg entstanden. Wegen der Erdöllieferungen aus der Sowjetunion habe die DDR die Kohleförderung in den 1960er Jahren leicht drosseln können, schreibt Jankowski. Doch mit der weltweiten Ölkrise Mitte der 1970er Jahre sei die Kohleförderung nochmals extrem gesteigert worden.
Ein unwiederbringlicher Verlust sei die Wüste Kirche von Drehna. Der Granitquaderbau sei im 14. Jahrhundert als Wallfahrtskirche errichtet und beim Durchmarsch der Hussiten 1429 zerstört worden. Bei der beseitigten Ruine habe es sich um eines der beeindruckendsten Denkmale der Region gehandelt. Als Sonderfall beschreibt Jankowski die Geschichte der Dorfkirche von Pritzen. Sie wurde in den 1980er Jahren abgebaut und zwischengelagert. 1994 entstand unter Verwendung originaler Substanz eine Kopie der Kirche am Rande des Spremberger Neubaugebiets Schomberg.
Die vom Tagebau verdrängten Kirchen sind jedoch nur ein kleiner Teil des Buchinhalts. So schildert Thomas Krause beispielsweise die Baugeschichte der Dorfkirche Walddrehna. Annegret Gehrmann schreibt über die Kirche Langengrassau, über das Ringen dortiger Pfarrer um eine würdige Unterkunft und ausreichende Einkünfte sowie über den Umbau der Pfarrscheune zum Gemeindezentrum. Albrecht Bönisch erzählt von Orgeln und Orgelbauern der Niederlausitz. Markus Agthe wertet Funde auf Kirchenfußböden aus. So wurden in Komptendorf 100 Münzen und 626 Stecknadeln entdeckt. Es finden sich sehr alte, aber auch moderne Münzen, die für die Kollekte bestimmt waren und den Kirchgängern herunterfielen. Wegen der geringen Beträge machten sich die Besitzer nicht die Mühe, unter den Bänken und zwischen Dielenbrettern danach zu suchen. Die hohe Zahl der Stecknadeln erklärt sich durch Trachten. Allein für einen Kopfputz sind Unmengen von Nadeln verwendet worden.
Einige Aufsätze richten sich offenkundig an Fachleute. Das Buch enthält aber auch eine ganze Reihe interessanter Beiträge, die populärwissenschaftlich angelegt und allgemein verständlich sind.
Annegret Gehrmann, Dirk Schumann (Hrsg.): Dorfkirchen in der Niederlausitz, Lukas Verlag, 429 Seiten (brosch.), 36 Euro
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