Verliebt in die Liebe

Das Arsenal präsentiert eine Retrospektive des französischen Regisseurs Jacques Demy

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.
Szene aus »Les Desmoiselles de Rochefort«
Szene aus »Les Desmoiselles de Rochefort«

»Jedes Mal, wenn man jetzt in Cherbourg tanken geht, wird man sich wundern, wieso der Tankwart nicht in Gesang ausbricht.« So äußerte einer von zahlreichen französischen Kritikern seine Begeisterung über Jacques Demys Musikfilm »Die Regenschirme von Cherbourg« (1964). In der tragischen Liebesgeschichte zwischen einer Regenschirmverkäuferin und einem Automechaniker werden ausnahmslos alle Dialoge gesungen – und seien sie noch so alltäglich. Dem Genre des Melodrams, dessen Komponenten die Musik und das Drama sind, gab der Regisseur so seine ursprüngliche Bedeutung zurück.

Das trotz seiner Tragik in knallbunten Dekors und ebensolchen Kostümen gehaltene Werk wurde zum Markenzeichen des Jacques Demy (1931-1990), der so ein unverwechselbares filmisches Universum schuf. Auch wer kein Freund seines Pathos und der überschwänglichen Musik seines Hauskomponisten Michel Legrand ist, muss deren Radikalität und Konsequenz Respekt zollen. Die finale traurige Begegnung des einstigen Liebespaars Geneviève (Catherine Deneuve) und Guy (Nino Castelnuevo) an einer verschneiten Tankstelle erweicht selbst den hartnäckigsten Skeptiker.

Denn Schwärmerei und durchaus beabsichtigter Kitsch sind integraler Bestandteil von Demys Kino, das buchstäblich von Traumtänzern bevölkert wird. So singt und tanzt an der Seite von Catherine Deneuve und ihrer Schwester Françoise Dorléac auch Hollywood-Star Gene Kelly in Demys nächstem Erfolg »Les Demoiselles de Rochefort« (1967). In diesem weitaus klassischeren Musical bestechen die ebenfalls poppigen Szenenbilder und quietschbunten Kostüme – die ufo-artigen Kopfbedeckungen der Schwestern lassen sogar die Hüte der Royal Family verblassen.

In typisch demy’scher Manier wird hier – mal ironisch, mal melancholisch – das Liebesideal besungen, und nach zwei Filmstunden finden die drei Paare auf wundersame Weise zueinander.

In Herzensangelegenheiten kennt Demy keine halben Sachen. Entweder enden seine Filme tragisch: mit dem Tod der Liebe oder der Liebenden. Oder es erfolgt ein märchenhaftes Happy End. Über unschöne Dinge wie Mord oder Inzest wird dann mit französischer Nonchalance und sogar Spott hinweggegangen. Selbst zwanzig Jahre Trennung können der Liebe nichts anhaben, wie in Demys spätem Musikfilm »Trois places pour le 26« (1988) mit Yves Montand in einer autobiografisch gefärbten Rolle.

Nicht umsonst spielen Demys Filme meist in Hafenstädten, die ihren Figuren Raum für ein Wiedersehen bieten oder ihnen die Flucht aus Liebeskummer ermöglichen. Bereits die Helden seiner beiden ersten eher naturalistischen – und gesanglosen – Filme sind Träumer und Besessene. »Die blonde Sünderin« (1962) handelt von einem Pärchen, das in einer »Liaison fatale« weder von den Kasinos der Côte d’Azur noch voneinander lassen kann. Eine Endlosschleife aus (Eifer)Sucht, Ekstase und dem Kater danach wird hier virtuos gezeichnet. Extreme Gefühle hegt auch die Titelheldin in Demys Erstling »Lola« (1960), eine Revue-Tänzerin, die einen Jugendfreund zugunsten ihres ersten Liebhabers verstößt.

Demys dezidiert künstliche aber nie moralisch wertende Welt durchbricht zuweilen die Politik: Das ebenfalls komplett gesungene Melodram »Ein Zimmer in der Stadt« (1982) spielt vor dem Hintergrund von Arbeiterunruhen, deren Brisanz die musikalisch-choreografische Konfrontation von Polizisten und Streikenden erhöht. »Die Regenschirme von Cherbourg« wiederum erwähnt explizit den Algerienkrieg. Zwar dienen die gesellschaftskritischen Exkurse vor allem der Verstärkung des (Liebes-)Dramas. Doch kompletten Eskapismus kann man Demy, diesem in die Liebe verliebten, originellen Solitär des französischen Kinos, nicht vorwerfen.

8. April bis 4. Mai im Arsenal am Potsdamer Platz, Tel: 26 95 51 00; www.arsenal-berlin.de

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