Hektische Halbwelt

»Der blaue Engel« im Theater am Kurfürstendamm

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Es blitzt und blinkt, die karussellartige Drehbühne fährt langsam im Kreis und offenbart gleich zu Anfang ihre vier Bühnenbilder als Standbilder: zwei rauchende Schüler im trist ockerfarbenen Schulflur, der Wirt des »Blauen Engel«, der vor seiner Kaschemme Bierflaschen sortiert, im Inneren des Etablissements die mit Kostümen voll gestopfte Garderobe und schließlich die Bühne, am Klavier ein rot beschuhter Pianist. Dazu ertönt die Melodie von »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt«, die sich als Titelthema durch das ganze Stück zieht – gesungen, gepfiffen, geklimpert, trompetet, als schräger Jahrmarktsong auf der Drehorgel gespielt. Eine gute Einstimmung auf das Stück »Der Blaue Engel« eigentlich – und doch nimmt der Anfang gleich das Grundproblem im Theater am Kurfürstendamm vorweg: Hektisch von Szene zu Szene orgelnd, ist die Inszenierung mehr brave Abarbeitung der Geschichte denn Psychogramm eines Absturzes.

An den Darstellern, allen voran Walter Plathe als Professor Unrat, liegt das nicht: Der einstige DDR-Fernsehliebling und nun gesamtdeutsche TV-Star zeichnet die Wandlung des tyrannischen Gymnasiallehrers zum verliebten Hahnrei und schließlich seinen tiefen Fall überzeugend nach.

Allein, ihm bleibt dafür wenig Zeit: Das Drehbühnenkarussell (Martin Rupprecht) kreiselt von Bild zu Bild, zack-zack folgt eine Szene der anderen. Raat, wie er vor dem Klassenzimmer zwei Schüler zusammenstaucht (»Ich werde Sie zerschmettern!«); billiger Zaubereiauftritt im »Blauen Engel«; die Schüler in der dortigen Garderobe; Auftritt »fesche Lola«... 44 Szenen hat Regisseur Klaus Gendries in dem knapp zwei Stunden langen Stück untergebracht – da bleibt für subtile Momente, für die Entwicklung eines Spannungsbogens ebenso wenig Zeit wie für die Nachzeichnung des rauschhaft-lasziven Halbweltmilieus, dem der Professor so ablehnend wie fasziniert gegenüber steht.

Zwar orientiert sich die knapp zwei Jahre alte Bühnenfassung des österreichischen Dramatikers Peter Turrini ausdrücklich am legendären Film mit Marlene Dietrich und weniger am Roman von Heinrich Mann, ist also eher Unterhaltungsrevue mit Anspruch als tragische Charakterstudie oder Soziogramm der wilhelminischen Gesellschaft – in der damaligen Zeit verortet bleibt es trotzdem. Lola-Darstellerin Eva-Maria Grein von Friedl darf denn auch die großen Hollaender-Klassiker singen, von »Ich bin die fesche Lola« über »Heut Abend, da such ich mir was aus« bis »Nimm Dich in Acht«. Sie macht das ganz gut, sie hat eine ausgebildete Stimme, Talent und schöne lange Beine, die sie in Netz- und Strapsstrümpfen ausgiebig zeigen darf (Choreografie Andrea Heil). Und trotzdem nimmt man Eva-Maria Grein die Halbweltdame Lola nicht recht ab; zu artig und sauber wirkt ihr Sex-Appeal, zu nett und tüchtig die ganze Person – vor allem im ersten Teil ist sie ganz die kokette Strahlefrau mit Sehnsucht nach einem bürgerlichen Leben. So gut ihr die spärlichen Kostüme im 80er-Jahre-Stil stehen – man vergisst doch nie, dass hier eine Schauspielerin agiert. Oft künstlich und aufgesetzt, auch ohne den undankbaren Vergleich mit Marlene.

Publikumsliebling ist ohnehin die großartige Maria Mallé, die als schlagfertige Ehefrau des groben Varietéchefs Kiepert (Reiner Heise) gern mal zur Flasche greift und beschwipst ihr »Mir liegen die älteren Jahrgänge« schmettert. Wenn sie mit verrutschter Perücke auf die Bühne stolpert und auf das »Zuckerpuppe, du kommst zu früh« ihres Gatten trocken kontert: »Na und, du kommst dein Leben lang zu früh«, hat das jenen derben Charme, der ihrer Kollegin völlig abgeht. Auch der Rest des Ensembles überzeugt bis hinein in die kleinste Nebenrolle, was sich vor allem im zweiten, düsteren Teil des Stücks bezahlt macht, wenn der einst gefürchtete Professor endgültig in die Gosse abrutscht.

Bis 15. Mai, Di.-Sa. 20 Uhr, So. 16 Uhr, Theater am Kurfürstendamm, Karten unter Tel. 88 59 11 88

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