Wer war Nabucco?

Wolfgang Seidel und die Weltgeschichte

  • Thomas Bruhn
  • Lesedauer: 3 Min.

Ob es nicht schon genug Geschichtsbücher dieser Art gibt? Der Autor ordnet sein Buch nicht nach Jahreszahlen, sondern nach Stichworten – das ist der eigentliche Gewinn. Er beschreibt, was zu gleicher Zeit an verschiedenen Orten sich ereignete. So erfahren wir zum Beispiel, wer während des römischen Kaiserreiches in China regierte – und da staunt man dann.

Die Einsichten sind oft überraschend, sie lassen uns begreifen, dass Globalisierung keine Erfindung der Neuzeit ist. Herrschende waren immer versucht, Nachbarn durch Kriege oder durch Hochzeiten tributpflichtig zu machen. Und litt ein Volk Mangel, egal wodurch verursacht, suchte es neue Jagd- und Ackergründe. Zum besseren Verständnis der Wanderungen und Kriegszüge und der steten Verschiebung der Grenzen hat es mir geholfen, meinen Atlas zur Geschichte aufzuschlagen und die Karten zu betrachten. Neben Kriegen und Machtkämpfen gab es freilich Zeiten, in denen Toleranz gegen Fremde und Friedfertigkeit gegen Nachbarn geübt wurde, was mit sich brachte, dass Wirtschaft und Kultur eine Blüte erlebten.

Wolfgang Seidel studierte Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie und veröffentlichte mehrere vergnügliche Sammlungen zur Herkunft von Wörtern und Redewendungen. Die positiven Reaktionen auf diese Bücher ermutigten ihn, zu seinem eigentlichen Fach, der Geschichte, zurückzukehren. In diesem Buch räumt er mit manchem Irrtum auf und erklärt nebenbei manche Redewendung und manch kulturhistorischen Zusammenhang. Zum Beispiel erfahren wir, wer sich hinter Nabucco verbirgt, welche Geschichte Henry Purcell zur Abschiedsarie »Remember me« inspirierte und dass es bei Osterrode einen Berufsschullehrer gibt, dessen Vorfahren zur Bronzezeit in der Nähe der Lichtenstein-Höhle im Harz siedelten, jener Zeit, da in Jerusalem unter König Salomo der erste Tempel erbaut worden ist.

Die Sprache ist sachlich und klar. Zuweilen blitzt und funkelt sie gar, ab und an aber geht ihr der Autor auch auf den Leim und es »direktelt« arg. Ich werde nie begreifen, warum eine Stadt nicht am Fluss, sondern direkt am Fluß gebaut worden ist und was den Unterschied ausmacht. Auch setzt der übervorsichtige Jurist unnötigerweise selbst gesicherte und geläufige Begriffe häufig in Anführungszeichen. Wie man Autoren nicht alles glauben darf – ich weiß es, ich bin selbst einer –, dürfen sie auch nicht alles auf die Goldwaage legen, was ein Verlag schreibt. Eichborn dräut auf dem Umschlag mit dem Zeigefinger: Weltgeschichte – alles was Sie wissen müssen. Lassen Sie sich nicht ins Boxhorn jagen: Sie müssen gar nichts. Sie sollen nur ein schlechtes Gewissen ob ihrer mangelnden Geschichtskennnisse bekommen, damit Sie das Buch kaufen. Lassen Sie sich nicht abschrecken, bleiben Sie schön neugierig und schauen Sie trotzdem hinein – es lohnt sich.

Ich las das Buch mit Gewinn, manchmal mit Genuss und empfehle es Lesern, die auf Geschichte neugierig sind, die ihr fragmentarisches Wissen zusammensetzen und Überblick gewinnen wollen.

Wolfgang Seidel: Wann tranken die Türken ihren Kaffee vor Wien? Eichborn. 448 S., geb., 19,95 €.

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