Ein Kämpfender, Leidender, Irrender

Vor 125 Jahren wurde Ernst Thälmann geboren

  • Klaus Kinner
  • Lesedauer: 3 Min.
Ernst Thälmann
Ernst Thälmann

Die Partei DIE LINKE wurzelt in verschiedenen Traditionszusammenhängen und steht in einem reichen und fruchtbaren wie auch tragischen und schuldvollen Erbe. Neben sozialdemokratischen und linkssozialistischen Traditionen gehören die des deutschen Kommunismus zu den prägenden ihres historischen Selbstverständnisses. Es ist die Partei Rosa Luxemburgs, Karl Liebknechts, Clara Zetkins, Paul Levis und August Thalheimers, denen sich die Linkspartei vor allem verbunden fühlt. Die KPD ist aber auch nicht ohne Ernst Thälmann zu denken. Der Kampf hunderttausender Proletarier gegen Militarismus, Faschismus und Krieg wird immer mit seinem Namen verbunden bleiben.

Ernst Thälmann kam als 39-Jähriger an die Spitze der Partei. Nach schweren Klassenkämpfen und komplizierten innerparteilichen Auseinandersetzungen stand der am 16. April 1886 in Altona Geborene vor Aufgaben, die ein Höchstmaß an intellektuellen und politischen Fähigkeiten abverlangten. Es war dies die Zeit, in der sich der Stalinismus zunehmend in der internationalen kommunistischen Bewegung durchsetzte. Thälmann trug diese Entwicklung voller Überzeugung mit. Die Sowjetunion und die Politik ihrer Führung blieb für ihn Zeit seines Lebens nicht hinterfragtes Vorbild. Die Stalinisierung der weltweit größten kommunistischen Partei außerhalb der Sowjetunion, der KPD, gehört zu den tragischen Kapiteln der Geschichte.

Für die sich konstituierende Partei des demokratischen Sozialismus gehörte deshalb zum Bruch mit dem Stalinismus als System unverzichtbar auch die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der KPD. Mangels demokratischer Legitimation hatten die Führungen der SED ihren Herrschaftsanspruch nicht zuletzt aus dem von ihnen geschaffenen Mythos um Thälmann und der Kontinuität des jeweiligen Politbüros zum »Thälmannschen Zentralkomitee« abgeleitet. Kritik oder Zweifel an der Thälmann-Legende waren unerwünscht und unerlaubt. Der Thälmann-Mythos in der DDR hatte mit der historischen Person nur noch wenig zu tun. Dabei erweist sich der Mensch aus Fleisch und Blut als interessante und widerspruchvolle Gestalt, dessen Leben über das vergangene Jahrhundert weit mehr auszusagen vermag als die zur Ikone erstarrte Figur.

Im vergangenen Jahr erschien ein aufwändig gestalteter zweibändiger »Thälmann-Report« von Eberhard Czichon und Heinz Marohn. Es handelt sich um den bisher ambitioniertesten Versuch, die Biografie des ehemaligen Vorsitzenden nicht nur der KPD, sondern auch des Roten Frontkämpferbundes (in beiden Funktionen ab 1925) zu rekonstruieren. Der Versuch ist misslungen, denn es handelt sich hier um einen Rückfall in die SED-Geschichtsschreibung. So verwundert es auch nicht, dass Czichon und Marohn eine angebliche »Demontage« des Thälmann-Bildes durch »Geschichtsrevisionisten« im Interesse der »Reformer-Fraktion in der PdL um Gregor Gysi und die Gebrüder Brie« (zu denen die Autoren auch den Verfasser dieser Zeilen zählen) beklagen, die in ihren Augen dazu diene, »den Aufbau des Sozialismus der DDR zu delegitimieren«.

Im Umfeld der PDS wie der Linkspartei ist hingegen in den vergangenen zwei Jahrzehnten intensiv zur Geschichte des deutschen Kommunismus geforscht worden. Konturen eines neuen, vielschichtigen und pluralen Bildes sind sichtbar geworden. In diesem hat Thälmann seinen Platz. Er wurde keinesfalls demontiert. Ernst Thälmann wird als kämpfender, irrender, strategisch überforderter, leidender, standhafter, Stalin dienender und zugleich von diesem gedemütigter und fallengelassener Kommunist gezeichnet. Thälmann ist keine Ikone mehr. So hat die Linke ihn zurück gewonnen. Und sie überlässt ihn weder den Antikommunisten noch stalinistischen Apologeten.

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