Goldgrube Wohnraum
Konferenz zum Problem der steigenden Mieten
Wer sich die nüchternen Zahlen über Angebot und Nachfrage des Berliner Wohnungsmarktes anschaut, der bemerkt sofort eine Schieflage: Berlin wuchs in den vergangenen zehn Jahren um 54 000 Einwohner. Weil jedoch immer weniger Menschen zusammen in einer Wohnung leben, nahm die tatsächliche Zahl der Haushalte um 130 000 zu. Außerdem wird immer weniger gebaut. Zuletzt waren es nur noch rund 3500 Wohnungen im Jahr und davon waren zwei Drittel Eigentumswohnungen. Joachim Oellerich von der Berliner Mietergemeinschaft referierte diese Fakten in einem überfüllten Konferenzsaal. Und er lieferte am Samstag auch einen statistischen Beleg dafür, was jeder spürt, der eine Wohnung sucht. Es wird immer schwerer, eine neue Bleibe zu finden. Vor zehn Jahren kamen noch 104 Wohnungen auf hundert Haushalte; jetzt sank dieser städtische Mittelwert auf 96.
Die Konferenz der Mietergemeinschaft trug den vielsagenden Titel »Vorsicht Wohnungsnot!«. Sie sprach das aus, was Ingeborg Junge-Reyer tunlichst vermeidet. Die sozialdemokratische Stadtentwicklungssenatorin sieht den Wohnungsmarkt noch immer recht entspannt. Dabei pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass jeder Wohnungswechsel das Konto schröpft, weil der Mietspiegel unentwegt steigt. Junge-Reyer blickt jedoch auf andere Städte, in denen die Mieten noch höher sind. Dabei sei es wichtig zu sagen, dass es in Berlin eine Verknappung gibt, meinte Gerlinde Schermer vom Donnerstagskreis der SPD. »Ein Problem ansprechen ist der erste Schritt zur Beseitigung.« Sie war eine der wenigen Vertreter einer Partei auf dem Podium.
An eine Regulierung durch die Politik glaubt von den Kongressteilnehmern kaum jemand mehr. Schließlich hat der rot-rote Senat in den vergangenen acht Jahren 150 000 kommunale Wohnungen privatisiert und beschloss 2003, den sozialen Wohnungsbau auslaufen zu lassen. Dass dies an der Schuldenexplosion des Landes liege, wie ein Zwischenrufer einwarf, ließ Oellerich nicht gelten. »Diese Politik ist nicht nötig«, rief er und verwies auf seinen Vorredner Joachim Bischoff.
Der Wirtschaftswissenschaftler und Abgeordnete der LINKEN in der Hamburger Bürgerschaft macht in Berlin eine »Goldgräberstimmung« für Investoren aus. Es sei bekannt, dass die Mieten in Berlin viel Spielraum nach oben hätten, sagte Bischoff. Seit der Senat sich 2004 von der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft GSW trennte, habe der Finanzinvestor Goldman Sachs bis zum jetzigen Start des Unternehmens an der Börse 400 Millionen Euro Gewinn gemacht. »Irgendwo muss das Geld ja herkommen«, meinte Bischoff und monierte, dass die GSW mit ihren 49 000 Wohnungen systematisch ausgepresst worden sei. Für ihn ist dies ein Beispiel dafür, wie sehr ein von der realen Wertschöpfung entkoppelter Finanzmarkt zur treibenden Kraft für die Politik geworden sei.
Doch wie kann dieser Entwicklung Einhalt geboten werden? Um diese Frage drehte sich die Konferenz, zu der weit mehr als 200 Teilnehmer kamen, von denen viele selbst in Kiezinitiativen aktiv sind. Sie tauschten Neuigkeiten aus. Ein Mann aus dem Graefe-Kiez erzählte, dass es kaum mehr als zwei Dutzend Wohnungen für Hartz IV-Empfänger gebe. Auch in der Fanny-Hensel-Siedlung in Kreuzberg sind einst geförderte Wohnobjekte in die Mühle der Mietsteigerung gekommen. Die Konferenz wurde immer wieder zu einem offenen Podium. Die Kampagne gegen Zwangsumzüge berichtete davon, dass es in diesem Monat von den Jobcentern bereits zahlreiche Aufforderungen an Bedürftige gegeben habe, die Kosten für die Unterkunft zu senken. Eine Verdrängung von Einkommensschwachen ist in vielen Bezirken allgegenwärtig. Längst ist die Stimmung in der Stadt umgeschlagen, und der Mieten-Anstieg wird als Bedrohung empfunden.
Bürgerinitiativen seien jedoch Pipifax, sagte einst der Dichter Ronald Schernikau. Tatsächlich scheint die jetzige Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt nur schwer zu stoppen zu sein. Aber auf der Konferenz gingen viele Aktivisten einen Schritt aufeinander zu. Sie wollen nun ausloten, wie sie künftig gemeinsam handeln können.
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