Die Zukunft im Vergangenen

Das einstige DDR-Musterdorf Mestlin bei Parchim will sein historisches Erbe stärker pflegen

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.
Einst ein halbfeudales Nest im Nichts, wurde Mestlin im Kreis Parchim (Mecklenburg-Vorpommern) ab 1955 zum Musterdorf des ländlichen Sozialismus ausgebaut. Ein Verein engagiert sich seit 2008 für den historischen Ortskern – nun will sich die Gemeinde ein entsprechendes Denkmalschutzkonzept geben.

Große Ideen für die Zukunft hat es in Mestlin in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine Menge gegeben. Kurz nach der Wende machte jemand aus Hamburg in dem mecklenburgischen Dorf eine Großdisko auf und versprach eine Stange Geld, das dann so nie ankam. Ein Planerbüro aus München hat sich mal an einer Zukunftsfantasie versucht, die nie über das Papier hinausgekommen ist. Andere »Berater« hatten einst sogar zur Auflösung der Agrargenossenschaft geraten, woraus zum Glück nichts wurde.

Schaufenster des Anfangs

Vielleicht auch deswegen konnte sich der Ort im Kreis Parchim lange nicht entscheiden, was er sein wollte. Ein Wappen, wie es sich die meisten Ortschaften auf dem Land zugelegt haben, führt Mestlin nicht. Und im Internet findet man zuerst Einträge über Störche. Jetzt aber haben sich die Vertreter des Dorfes einer früheren Vision besonnen, die den Ort ohnehin bis heute unübersehbar prägt. Es ist die Vision des sozialistischen Aufbaus, dessen Bauten das Bild Mestlins seit Mitte der 50er Jahre mehr als andernorts bestimmen.

Der Dorfkern um den zentralen Marx-Engels-Platz, sagt Claudia Stauß vom Verein »Denkmalkultur Mestlin«, sei zwar bereits seit den 70er Jahren geschützt, was laut Landesamt für Denkmalschutz auch weiterhin gelte. Mit dem unlängst gefassten Beschluss, eine »Denkmalbereichsverordnung« für den Ortskern zu entwerfen, werde die Rechtslage aber nun bekräftigt und konkretisiert, freut sich die 36-Jährige, deren 2008 gegründeter Verein mit der Gemeinde kooperiert.

Nach dem Krieg war Mestlin zunächst ein kleines Nest, in dem nur das Herrenhaus Strom hatte und die Einwohner in armseligen Landarbeiterkaten hausten. Der Ort, schreibt der Historiker Fabian Dietrich, stand damals wie ein Symbol für die Zustände, die der hier noch halb feudale Kapitalismus in Ostelbien hinterlassen hatte. Mestlin bot sich daher als Schaufenster des Neuanfangs geradezu an. Nach der Bodenreform wurde zunächst die Kollektivierung forciert, was einige Familien in die Flucht nach Westen trieb. Ab 1955 sollten dann Kräne und Bagger die Kraft des Kollektiven demonstrieren.

Dem damaligen Materialmangel zum Trotz entstand in der Mitte des Dorfes in Windeseile ein sozialistisch-majestätisches Kulturhaus. Umgeben wurde es mit großzügigen Krippen-, Kita-, Schul- und Sportgebäuden und einem medizinischen Zentrum – eine sozialistische Replik auf die in Preußen verbreiteten Herrschaftsensembles aus Schloss, Theater oder Museum und Kirche. Freundliche Siedler- und Mehrfamilienhäuser gaben Obdach für die wachsende Bevölkerung, im Jahr 1989 etwa 1500 Menschen. Der Ort wurde elektrifiziert, eine Kanalisation angelegt. Der Ort muss beeindruckend ausgesehen haben, als er neu war.

Programm im Kulturhaus

Das alles steht auch noch, denn in Mestlin ist nicht viel passiert seit der Wende. Für viele Einwohner jedoch ging es bergab. Hunderte hatte die LPG einst beschäftigt, heute arbeiten in der Genossenschaft nur noch ein gutes Dutzend. Die Bevölkerung schrumpft und liegt im Augenblick bei etwa 800. Und im einst so stolzen Kulturhaus können Claudia Stauß und ihre Mitstreiter, die dort seit drei Jahren als Pächter ehrenamtlich für Programm sorgen, inzwischen nur noch mit Sondergenehmigungen des Parchimer Bauamtes agieren.

Bis auf einen kleineren Saal, der schon Ende der 90er von Bürgern saniert wurde, ist das Gebäude inzwischen baufällig – wenn auch immerhin seit ein paar Jahren das Dach dicht ist. Am Wochenende eröffnete dort die Wanderausstellung »Landwirte im Widerstand«, die auch in Berlin und Schwerin zu sehen war. Im Herbst soll es schon die dritte Ausgabe einer Kunstausstellung geben, in der sich Zeitgenossen mit dem Gedächtnis des Dorfes auseinandersetzen.

Claudia Stauß hofft, dass die Geschichte auch wieder ein bisschen Zukunft bringt, Besucher und ein paar Arbeitsplätze. Derzeit sucht sie bei Bund und Land nach Unterstützung aus Denkmalmitteln. Und wer selbst etwas beitragen will, sagt sie, kann nach Mestlin kommen – und ein paar Pflastersteine kaufen. Die veräußert man gerade Stück für Stück – nach Straßenarbeiten in den Wohngebieten. Der zentrale Marx-Engels-Platz und die anliegende Ernst-Thälmann-Straße bleiben wohl für immer gepflastert. So will es der Denkmalschutz. Und so, das weiß man auf dem Lande, ist es letztlich auch viel stabiler.

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