Nicht bis in die letzte Kilowattstunde
Sitzung der Ethikkommission Atomkraft: Kritiker bemängeln Zusammensetzung und vermissen neue Argumente
Wie hochrangig Kommission und Expertenrunde besetzt sind, erkennt man schon daran, dass das Geschlechterverhältnis ungefähr dem der Vorstände von Aktienunternehmen entspricht. Etwa eine halbe Minute von knapp zweieinhalb Stunden sprechen Frauen im ersten Themenkomplex »Wirtschaft und Soziales«, in den folgenden ist es kaum besser. Auch Mitglieder der Anti-Atom-Bewegung sind nicht vertreten. Der »breite Dialog«, in dem man sich in den Worten des Kommissionsvorsitzenden Klaus Töpfer (CDU) befinde, spiegelt sich in der Ethikkommission Atomkraft nicht wider. Aber immerhin ist die elfstündige Sitzung am Fernsehen und im Internet live zu verfolgen.
Man könne nicht alles »bis in die letzte Kilowattstunde« ausrechnen, dämpft Töpfer die Erwartungen, aber Regierung und Parlament mit zusätzlichen Argumenten versorgen. Es gehe »um wichtige ethische Grundfragen«. Das im März nach der Atomkatastrophe in Fukushima von der Regierung ins Leben gerufene 17-köpfige Gremium soll bereits bis zum 28. Mai Empfehlungen für eine Energiewende vorlegen.
»Ich respektiere, dass viele Bürger Zweifel mit der Kerntechnik verbinden«, sagt etwa der Vorstandsvorsitzende des Energiekonzerns E.on, Johannes Theyssen, um dann zu erklären, dass ein sofortiger Ausstieg aus der Atomkraft nicht möglich sei. Nur mit der Atomkraft als »Brückentechnologie« könne der Bau vieler neuer Gas- und Kohlekraftwerke verhindert und die völkerrechtlich festgelegten Klimaziele erreicht werden. Heinz-Peter Schlüter, Aufsichtsratsvorsitzender der Trimet Aluminium AG und Vertreter der stromintensiven Industrie, stellt Atomkraftwerke als Garanten für eine sichere Stromversorgung und damit zunächst als alternativlos hin.
Dagegen ist für Michael G. Feist, den Vorsitzenden der Stadtwerke Hannover, ein schneller Ausstieg aus der Atomenergie ohne große Nachteile möglich. Er setzt auf dezentrale Energieversorgung, Fernwärme, in geringem Maß auf Gas- und hocheffektive Kohlekraftwerke und will den erhöhten CO2-Ausstoß durch Gebäudesanierungen ausgleichen. Dietmar Schütz vom Bundesverband der Erneuerbaren Energien führt aus, dass schon 2020 keine Atomkraftwerke mehr nötig seien, ebenso wenig wie Kohlekraftwerke über die bereits genehmigten hinaus. Die größten Potenziale lägen in der Windenergie, und zwar an Land.
Bis zu 4500 Kilometer neue Stromtrassen seien in solchen Szenarien nötig, weil gerade die Energie durch Photovoltaik und Windkraft nicht dort gebraucht werde, wo man sie erzeuge, sagt Stephan Kohler von der Deutschen Energie-Agentur (Dena) und beruft sich auf eine Studie seines Unternehmens. Es ist eine von vielen Äußerungen, die im Internet-Liveticker der Anti-Atom-Organisationen IPPNW und »ausgestrahlt« Widerspruch hervorruft: »Die Dena-Netzstudie ist das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben wurde. Es ist eine interessengeleitete Studie und Herr Kohler ist ein Lobbyist der Konzerne«, schreibt dort Hendrik Paulitz von IPPNW. Neue Stromautobahnen beschrieben »den zentralistischen Holzweg« einer Energiewirtschaft mit großen konventionellen Kraftwerken, garniert mit ein paar Offshore-Windparks und dem Import von Wasserkraftstrom aus Skandinavien.
Der Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, Wolfgang Ehmke, der die Sitzung im Wendland verfolgt, nennt es nicht akzeptabel, dass die Kommission Umweltverbände und Anti-Atom-Organisationen bei der Befragung außen vor lasse. Sogar die Grünen fühlten sich in der Runde nicht vertreten, wie die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Bärbel Höhn, zuvor den Medien erklärt hatte. Kein Wunder: »Der Betriebsratsvorsitzende des AKW Biblis lobt die Ethikkommission. Er ist von der bisherigen Sitzung positiv überrascht. Er hat sie wohl ähnlich wahrgenommen wie ich: Als Veranstaltung, die die Risiken der Atomenergie hintenan stellt.« So lautet ein Fazit von Jochen Stay von »ausgestrahlt«.
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