Dortmund feiert sein Meistermärchen
Nach dem vorzeitigen Titelgewinn schwärmen Spieler, Trainer und Vereinsführung vom größten Erfolg des Klubs
Die rauschende Meisterparty ging erst im Morgengrauen zu Ende. Nach einer eher gesitteten Spontanfeier beim Italiener »Piazza Navona« ließen es die Profis von Borussia Dortmund in einer Edel-Disco der neuen deutschen Fußball-Hauptstadt mächtig krachen. Für die Ausgelassenheit seiner Rasselbande brachte auch Trainer Jürgen Klopp großes Verständnis auf. Kurz entschlossen gewährte er bis Mittwoch trainingsfrei. »Das ist ein Märchen, das uns keiner mehr nehmen kann«, schwärmte der Fußballlehrer.
Klopps junges Team bewies auch beim Feiern ähnlich großes Stehvermögen wie auf dem Rasen. Nach dem 2:0 über den 1. FC Nürnberg ging es bereits im Stadion hoch her. Als seine Mitspieler längst auf dem Weg ins Restaurant waren, stand Kevin Großkreutz noch immer grölend vor der Umkleidekabine. Mit dem Haarschnitt eines Punks, den ihm Verteidiger Felipe Santana noch auf dem Rasen mit einem Rasierer verpasst hatte, sang der Nationalspieler noch über zwei Stunden nach der Partie inbrünstig wieder und wieder das Vereinslied.
Bei keinem anderen im Team war die Freude über den vierten Bundesligatitel und die insgesamt siebte Meisterschaft größer. »Ich habe Gänsehaut, ich zittere am ganzen Körper«, gestand der gebürtige Dortmunder, »das ist doch Wahnsinn. Noch vor zwei Jahren stand ich selbst noch da oben auf der Tribüne.« Die Freude von Großkreutz, der noch während seiner Zeit als Profi beim Zweitligisten Ahlen regelmäßig in das Dortmunder Stadion pilgerte, passt ins Bild der leidenschaftlich erspielten Meisterschaft.
Schon seit Monaten verzückt der schnörkellose und kostengünstige Fußball der Borussia die Anhänger. »Es hätte die Gesetzmäßigkeiten des Sports konterkariert, wenn diese Mannschaft nicht Meister geworden wäre«, sagte Klopp. mit dieser Meinung war Dortmunds Trainer nicht allein, selten fielen die Gratulationen selbst der Konkurrenten so euphorisch aus.
Nach monatelanger Alleinherrschaft an der Tabellenspitze bewies der zuletzt leicht wankende BVB im entscheidenden Moment Nervenstärke und zog nach dem zeitgleichen 0:2 von Verfolger Leverkusen in Köln bereits am 32. Spieltag uneinholbar davon. Als Stadionsprecher Norbert Dickel per Mikrofon in der 65. Minute den Führungstreffer der Kölner bekanntgab, brach in der Arena ein Jubelsturm los. »Da habe ich gedacht, das Stadion explodiert«, sagte Mats Hummels. Die schon zuvor erzielten Tore von Lucas Barrios (32. Minute) und Robert Lewandowski (43.) bescherten dem Revierklub vorzeitig das ersehnte Happy End.
Nur gut sechs Jahre nach der im letzten Moment abgewendeten Insolvenz meldete sich der Branchenriese mit einem Paukenschlag zurück. Wohl auch deshalb fiel die Meisterparty fast noch euphorischer aus als bei den mit viel Geld erkauften Titeln 1995, 1996 und 2002. Nach dem Schlusspfiff bebte das größte Bundesligastadion. Unter ohrenbetäubendem Jubel ließen die Profis ihren Trainer vor der mächtigen Südtribüne hochleben. Sportdirektor Michael Zorc und Präsident Reinhard Rauball versuchten vergeblich, der Bierdusche der Profis zu entkommen.
Inmitten der brodelnden Kulisse reagierte der ansonsten impulsive Klopp vergleichsweise gefasst und schloss seine Profis der Reihe nach in die Arme. »Es fühlt sich anders an, als ich vorher gedacht hatte. Der Druck war größer, als wir uns vielleicht eingestanden haben. Deshalb ist die Erleichterung tausendmal größer als die Euphorie«, kommentierte der klatschnasse Klopp seinen ersten Titelgewinn.
Ähnliche Demut empfanden die BVB-Führungskräfte. »Was die Jungs geleistet haben, ist nicht in Worte zu fassen. Soweit ich das beurteilen kann, ist diese Meisterschaft die größte Leistung der Vereinsgeschichte«, sagte Sportdirektor Zorc. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke erinnerte in der Freude an die zurückliegenden schwierigen Jahre: »Selbst in einem solchen Moment muss ich an den März 2005 zurückdenken«, sagte er mit Bezug auf den Showdown im Düsseldorfer Flughafen, als Anleger den Klub mit ihrem Votum für ein Sanierungskonzept vor dem Ruin bewahrt hatten. Selbst der eher zurückhaltende Präsident Rauball war beeindruckt: »Dortmund ist jetzt zwei Wochen im Ausnahmezustand, und da werde ich mich angemessen einbringen. Es ist sicher einer der emotionalsten Tage in meinem Leben.«
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