Brotbaum Buche
Im niedersächsischen Oerrel kümmern sich Fachleute um das Saatgut für den Wald der Zukunft
Oerrel. Es riecht so wunderbar nach Wald und edlen Hölzern. Mehr ein betörender Duft als ein schnöder Geruch, denn es fehlt die modrige Note vom Forst da draußen mit Humus, Moos und Pilzen. Hier drinnen hüten sie Wälder, die erst noch kommen werden, im Niedersächsischen Forstamt Oerrel, auf halbem Weg zwischen Lüneburg und Celle. Hier lagert Saatgut von Bäumen und Sträuchern, von hier werden die Bucheckern, Douglasiensamen oder Wildkirschenkerne an Forstämter, Waldbesitzer, Baumschulen und Wissenschaftler verkauft.
Betrug mit Eicheln
»Bei vollen Lagern könnten wir mit unseren Vorräten zehn Prozent des niedersächsischen Waldes neu pflanzen«, sagt Günter Reichwaldt nicht ohne Stolz. »Selbst für Katastrophenfälle wie Stürme und Waldbrände sind wir damit gut vorbereitet.« Reichwaldt ist Leiter der ganz profan »Forstsaatgut-Beratungsstelle« (FSB) genannten Schatzkammer, Arbeitgeber sind die Niedersächsischen Landesforsten. »Die Versorgung mit hochwertigem Saatgut sicherzustellen, das ist unsere wichtigste Aufgabe!« Der Schwerpunkt liege in Oerrel bei den heimischen Arten.
Wie wird sich das Klima entwickeln? Mehr als fünf bis sechs Jahre könne niemand mit Sicherheit vorausschauen, meint Reichwaldt. »Aber auf jeden Fall wollen wir vorbereitet sein. Da setzen wir zunehmend auf die Douglasie in Mischung mit Laubhölzern wie der Buche.« Auch die einst ebenfalls aus Nordamerika geholte Große Küstentanne sei an trockenen Standorten resistenter als die meisten einheimischen Bäume. »Unser Grundsatz ist aber, heimisches Material zu verwenden, das vital, gesund und für den jeweiligen Standort mit seinen spezifischen Umweltbedingungen geeignet ist«, fasst Reichwaldt zusammen.
Seine Beratungsstelle verdankt ihre Entstehung im Jahre 1985 einem folgenschweren Verstoß gegen diesen Grundsatz: Damals hatten Betrüger minderwertige Futtereicheln als Saatgut verkauft, die Folge war ein Millionenschaden für die getäuschten Waldbesitzer. Strenge Kontrollen sollen seitdem verhindern, dass sich so etwas wiederholen kann.
Schon Ende der 1880er Jahre hätten die Ostpreußen verheerende Erfahrungen gemacht, als sie Kiefern aus Südosteuropa pflanzten, berichtet Reichwaldt. »Ein später schwerer Frost und die an ein ganz anderes Klima gewöhnten Bäume starben.« Die Lehre sei eindeutig, folgert er: »Die genetische Anpassung sollte tunlichst erhalten bleiben. Gleichzeitig versuchen wir Artenvielfalt und genetische Vielfalt auch innerhalb der Arten zu garantieren.« Wichtigste Baumart sei die Buche, erklärt Reichwaldt: »Das ist unsere Brotbaumart schlechthin«, sagt er. »Wir leben in einer Buchenzeit. Sie würde bei uns unter natürlichen Umständen 80 Prozent der Waldfläche bedecken, dem wollen wir nicht entgegenwirken.« Die Begeisterung für Kiefern sei zurzeit eher verhalten, bei der Fichte sei das noch viel stärker zu beobachten. »Wurden 1975 noch vier Millionen Fichten in Niedersachsen gesetzt, so waren es im vergangenen Jahr keine 200 000 mehr«, sagt Reichwaldt.
Netze und Seilkletterer
Nur ein Prozent der Bäume aus den verschiedenen Herkunftsgebieten Norddeutschlands sei dabei gut genug, um als Erntebestand zur Grundlage der ökologischen und ökonomischen Stabilität künftiger Waldgenerationen zu werden, heißt es in Oerrel. »Einzelne Spitzenbäume der Spitzenbestände«, sagt Reichwaldt nur.
Im Herbst ist Erntezeit. Dann werden Netze für die besten Bucheckern gespannt, erlesene Eichen von Hand gesammelt und ausgewählte Nadelbäume von eigens in Oerrel ausgebildeten Seilkletterern bestiegen. »Wir haben keine eigenen Zapfenpflücker mehr, wie das früher mal war«, sagt Klaus Gille. Der Gärtnermeister ist seit 22 Jahren dabei. Er kümmert sich um das geerntete Saatgut.
Liegen nach der Ernte allein 40 Tonnen Bucheckern im Lager, so ist das Saatgut für 40 Millionen Bäume, ein Kilo ergibt 1000 Pflanzen. Aus 50 Tonnen Douglasienzapfen werden 500 Kilo Samen gewonnen, Material für 15 Millionen Nadelgehölze. Ein Kilo Douglasien-Saatgut kostet 1000 Euro. Die kostbare Ausbeute wird gereinigt, nachgereift und verkauft – oder eben gut gekühlt eingelagert, auch für Jahre mit magerer Ernte.
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