Christiania macht die Schotten dicht

Kopenhagener Freistadt trotzt Abschaffung

  • André Anwar, Stockholm
  • Lesedauer: 3 Min.
Die alternative Freistadt Christiania in Kopenhagen wurde von ihren Einwohnern geschlossen, um auf die Bedrohung ihrer Existenz durch die dänische Regierung aufmerksam zu machen. Die will den inzwischen lukrativ gewordenen Teil Kopenhagens »normalisieren«.

Wer dieser Tage nach Kopenhagen reist, um bei einem Frühlingsspaziergang alternativen Indienschmuck oder gar Haschisch in der Freistadt Christiania zu kaufen, kommt nicht herein. »CHRISTIANA ER LUKKET – CHRISTANIA IS CLOSED«, steht am Eingang der alternativen Freistadt auf einem handbemalten roten Schild in gelben Buchstaben mit extra dicken i-Punkten. In Englisch steht es dort auch, damit die meisten Besucher, also die Touristen, die Lage verstehen. Verantwortlich für die Schließung des gesamten alternativen Stadtteils für die Außenwelt sind aber nicht dänische Polizeibeamte, sondern erstmals die über 700 Einwohner selbst.

An sämtlichen Durchschlüpflöchern haben sie in der vergangenen Woche Holzwände aufgestellt, die Touristen und Haschkonsumenten den Zugang verwehren. Sämtliche Veranstaltungen, sämtliche Geschäfte, ob legal oder illegal, Cafés und Kneipen werden damit geschlossen. Dies im Protest gegen die von der Regierung betriebene »Normalisierungspolitik« für die Freistadt – einen Begriff, den die Bewohner Christianias selbst mit »Abschaffung« übersetzen.

»Wir wollen darauf aufmerksam machen das unser aller Christiania unter Druck steht«, liest man auf den Flugblättern, die Aktivisten verteilten, um eine breitere Allgemeinheit in Dänemark für ihre Sache zu gewinnen. »Wir haben 40 Jahre gebraucht, um eine von Dänemarks größten Touristenattraktionen zu erschaffen«, mit europaweit einmaligem Kultur- und Lebensraum«, heißt es weiter.

Das deutet auf einen Strategiewechsel im inzwischen über achtjährigen Konflikt mit Regierung und Polizei hin. Denn bislang gab sich die nun offen marktwirtschaftlich argumentierende Alternativgemeinde stets betont antikommerziell.

Im Februar hatte der höchste dänische Gerichtshof entschieden, dass die Regierung das inzwischen sehr wertvoll gewordene 34 Hektar große Gebiet mitten in Kopenhagen an Investoren verkaufen darf, die dort gewöhnliche Wohnblöcke errichten wollen. Die Christianitter wurden durch den Richterspruch zumindest juristisch wieder zu dem, was sie einst waren, als sie die stillgelegte Militärkaserne übernahmen – illegale Hausbesetzter.

Ein paar Jahre nach der Gründung Christianias 1971 hatte das Parlament die Freistadt im damaligen Zeitgeist offiziell als »soziales Experiment« anerkannt. 1982 erhielten die Bewohner unbegrenztes Gebrauchsrecht, das 2004 von der bürgerlichen Regierung wieder aufgehoben wurde. Der offene Drogenverkauf in der sogenannten Pusher Street wurde verboten. Die Folge war die Vertreibung der Dealer und Käufer von einem Ort, den die Polizei noch einigermaßen gut überwachen konnte, in die ganze Stadt, mit unzähligen Bandenkriegen im Schlepptau.

Aufgrund der langen Tradition Christianias muss sich die Regierung nun, trotz Rechtssieg in letzter Instanz, um einen Kompromiss mit den Bewohnern bemühen. Die versuchen vor allem durchzuhalten und so wenig wie möglich am Verhandlungstisch preiszugeben. So soll Zeit gewonnen werden, bis es irgendwann wieder zu einer linken Regierung in Dänemark kommt, die der Hippiegemeinde freundschaftlicher gegenüberstehen dürfte.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.