Niemand hob den Daumen

Operation »Geronimo«: Zwischen Western und Colosseumsfest – das Weiße Haus hat Sinn fürs Theatralische

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Großes Kino im Weißen Haus. Gezeigt wurde der Politthriller »Operation Geronimo«. In Obamas »Situation Room« sah man live und in Farbe, wie 79 Männer der Spezialeinheit Navy Seals mit vier Helikoptern einen Befehl erfüllten. Er lautete: Killt Osama!
Der Moment, in dem tausende Kilometer von Washington entfernt, finale Schüsse fallen.
Der Moment, in dem tausende Kilometer von Washington entfernt, finale Schüsse fallen.

Wenn die Apachen in den Krieg zogen, mal gegen die Siedler, mal gegen andere Indianerstämme, oft auch gegen die US-Armee, waren sie den Feinden fast immer zahlenmäßig unterlegen. Der wohl berühmteste Häuptling der Apachen, er gehörte zum Stamm der Chiricahua, hieß Geronimo (1829 - 1909). Er entwickelte eine Taktik blitzartiger Überfälle. Hinterhalte waren seine Spezialität. 1876 versuchte die US-Regierung, die Chiricahua in eine Reservation umzusiedeln. Geronimo blieben 35 Krieger. Mit denen widerstand er 5000 regulären Soldaten. Der Mut des Häuptlings ist legendär – nicht nur dank eines berühmten Hollywood-Western. Noch heute stürzen sich die US-Fallschirmjäger mit dem Ruf »Geronimo« aus ihren Flugzeugen in den Kampf.

Laut »New York Times« herrschte die meiste Zeit angespannte Ruhe im »Kino«. Obama habe wie »versteinert« ausgesehen, sein Vize Joe Biden habe einen Rosenkranz in Händen gehalten, Außenministerin Hillary Clinton ist das Erschrecken ins Gesicht gezeichnet. Als der Kampf im pakistanischen Abbottabad beendet und Osama bin Laden durch zwei Schüsse von Seals – einen in die Brust und einen zur Sicherheit in den Kopf – hingerichtet worden war, habe es ein »riesiges Aufatmen« gegeben. .

Doch die »entscheidenden Minuten« bis dahin »vergingen so langsam wie Tage«. Der Präsident habe sich »größte Sorgen um die Sicherheit unseres Personals gemacht«, berichtete Sicherheitsberater John Brennan. Es gibt ein Foto. So muss es ausgesehen haben im Colosseum, als unten im Areal der Kampf auf Leben und Tod ging. Doch auf den »Rängen« im Weißen Haus hob niemand, auch nicht der Präsident, den Daumen, um dem unterlegenen Feind das Leben zu schenken. Denn: Einem lebendigen Osama bin Laden die Verantwortung für die Flugzeugattacken am 11. September 2001 und anderen Anschlägen nachzuweisen, wäre nicht nur schwierig gewesen, ein Prozess hätte möglicherweise Al Qaida in weiten Gebieten der Erde gestärkt und Bin Laden zum Märtyrer gemacht. Aber ist er das nicht auch so?

»God bless the United States of America«, unterschrieb CIA-Chef Leon E. Panetta am kommenden Tag seine Sicht der Dinge. Nachdem die Angehörigen des Killer-Teams detailliert befragt worden sind, gaben US-Regierung und Marine weitere Details über die Aktion bekannt. US-TV-Sender zeigten Bilder vom Kampfort. Zu sehen ist viel Blut in einem Schlafzimmer. Ein erstes, am Montag veröffentlichtes Foto des erschossenen Saudi war offenbar eine Fälschung. Ob echte Fotos von dem Toten veröffentlicht werden, ist noch unklar.

Der Terroristenchef war offenbar in Begleitung von 23 Kindern und 9 Frauen. Sie hätten sich in der gestürmten Residenz aufgehalten, die Bin Laden nach bisherigen Erkenntnissen sogar ganze sechs Jahre als Versteck gedient hat.

Bei dem Schusswechsel, der nur wenige Minuten gedauert habe, seien auch zwei Brüder Bin Ladens ums Leben gekommen, ein Sohn sowie eine Frau, bei der es sich vermutlich um eine der vier Ehefrauen gehandelt habe. Vorherige Meldungen, die Frau sei während des Gefechts als menschliches Schutzschild benutzt worden, nahm die US-Regierung zurück.

Als alles vorbei war, hätten Soldaten DNA-Proben der Toten genommen. Die Erbgut-Analyse des Hausherren bestätigte laut CNN eindeutig die Identität Bin Ladens. Man habe auch Fotos vom Unterschlupf gemacht und Beweismaterial, darunter Computer und Festplatten, sichergestellt. Man hofft nun auf neue Informationen über das Innerste des Netzwerkes Al Qaida. »Hunderte Menschen in Washington« würden sich derzeit über die Daten hermachen, bestätigte ein anonymer Heimatschutz-Mann. Zumindest erreicht man so eine Verunsicherung verschiedener Terrorzellen. Wichtiger ist es der CIA jedoch, nun herauszufinden, wo Bin Ladens Stellvertreter Aiman al-Sawahiri gestellt werden kann.

Auch zu der zumindest umstrittenen Seebestattung gab es am Dienstag neue Fakten. Danach sei die Leiche von Bin Laden an Bord des Flugzeugträgers »USS Carl Vinson« gebracht und später im Norden des Arabischen Meeres versenkt worden. Zuvor sei die Leiche in einen »beschwerten Sack« gesteckt worden, ein Offizier habe einige religiöse Ausführungen gemacht, bevor der Leichnam auf ein flaches Brett gelegt und dieses dann in Richtung des Wassers gekippt worden sei. Das sei »Routine«, hieß es vom Marineministerium, schließlich würden durch Matrosen monatlich um die 20 Seebestattungen durchgeführt. Veteranen ließen sich so bestatten, auch normale Bürger hätten diesen Wunsch. Wie sensibel das Thema Osama bin Laden ist, scheint zumindest der US-Marine nicht klar zu sein.

Schon wird an einer neuen Inszenierung gearbeitet. Am Donnerstag will der US-Präsident am Ground Zero, wo einst die per Flugzeug weggesprengten New Yorker Twin Towers standen, mit Angehörigen von Opfern sprechen. Man sollte die Wirkung auf die nationale Seele der US-Amerikaner nicht unterschätzen. Im kommenden Jahr finden Präsidentschaftswahlen statt. Obama kann's!

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