Radikale Gefahr durch Geheimdienst
Erwähnung im Verfassungsschutzbericht könnte linken Jugendverein die Steuervorteile kosten
»Wir machen gerade erst Frühjahrsputz«, entschuldigt Oliver Leonhardt. Ihm ist ein wenig peinlich, wie es im JWP mittendrin aussieht. Dabei macht das linksalternative Jugendzentrum in der Neuruppiner Schinkelstraße 15a gar keinen schmutzigen Eindruck. Zwar sind ein sperrmüllreifes Sofa mit aufgeplatztem Polster, ein rostiger Fahrradrahmen und ein paar alte Latten zu sehen. Doch steht alles an seinem Platz: das Sofa im Veranstaltungsraum, der Rahmen in der Fahrradwerkstatt und die Latten in der Holzwerkstatt. Auch die Küche ist aufgeräumt. In der Bibliothek frühstückt eine fröhliche Runde. Ein kleiner Hund schnüffelt an den Füßen. Gemütlich sieht es aus.
Wenn der Hund über die Treppe nach unten saust, dann muss die Tür schnell geschlossen werden, damit das Tier nicht ausreißt. Ansonsten ist das JWP ein durchaus offenes Haus. Täglich schauen zum Beispiel bis zu 15 Flüchtlinge herein und nutzen den Internetanschluss, den sie im Asylbewerberheim vermissen.
In Neuruppin kursieren Gerüchte, in der JWP-Wohngemeinschaft werden Katzen gegessen, dabei sind die meisten dort Vegetarier. »Es ist unvorstellbar, was erzählt wird und was die Leute glauben«, lächelt Leonhardt. Der 23-Jährige, der an der Technischen Universität Berlin Maschinenbau studiert, war bis November Vereinsvorsitzender. Er ist weiter im Jugendzentrum aktiv. »Alle haben eine Meinung, aber die wenigsten waren mal hier.«
Auch der brandenburgische Verfassungsschutz scheint sich sein Bild nicht vor Ort gemacht zu haben. Jedenfalls lesen sich die Vorwürfe der Geheimdienstler, als hätten sie sich lediglich im Internet informiert. Unter der Rubrik Linksextremismus taucht das JWP im kürzlich veröffentlichten Verfassungsschutzbericht auf. Der Verein reagierte mit einer sieben Seiten langen Rechtfertigung. Doch der Verfassungsschutz lässt sich auf eine Richtigstellung nicht ein. Er geht davon aus, dass die Passagen zum JWP der Wahrheit entsprechen, wie Innenministeriumssprecher Geert Piorkowski erläutert. Man habe dem Verein angeboten, die Gründe darzulegen. Leonhardt erklärt, darauf verzichte man. »Wir diskutieren nicht mit einem Geheimdienst. Wir bereiten eine Klage vor.«
Ohne Fördermittel droht das aus
Die Konsequenzen einer Erwähnung im Verfassungsschutzbericht werden vorher nicht geprüft, weiß Piorkowski. Die Folgen sind im vorliegenden Fall aber erheblich. Das Finanzamt Kyritz beabsichtigt, die Steuerbegünstigung zu entziehen. Kommt es dazu, fordert der Staat Körperschaftssteuer für die Jahre 2007 bis 2009 nach. Bis zum heutigen Freitag gab das Finanzamt Gelegenheit, sich zu äußern. Der Verein formulierte eine Antwort. Er vertritt die Ansicht, dass die Anwürfe nicht stimmen.
Aber damit ist die Gefahr keineswegs abgewendet. Fördermittel würde das JWP wohl nicht mehr bekommen, wenn der Verfassungsschutz nicht einlenkt. »Wir müssten dicht machen«, vermutet Leonhardt. Er glaubt aber nicht, dass es so weit kommt. Zu sehr an den Haaren herbeigezogen seien die Vorwürfe. So heißt es, im JWP habe ein Treffen zur Bildung einer kriminellen Vereinigung stattgefunden. In Wirklichkeit habe es aber nur eine Informationsveranstaltung zur Geschichte des betreffenden Strafrechtsparagrafen 129 gegeben, widerspricht Leonhardt. Niemand habe hier eine kriminelle Organisation verabredet, versichert er. Die Recherche des Geheimdienstes sei oberflächlich, die Interpretation unzulässig.
Ein Vorwurf lautet, die Band »Krachakne« – gegen sie läuft ein Verfahren wegen des Liedes »Schieß doch Bulle!« – sei die Hausband des JWP. In Wahrheit sei die Gruppe woanders gegründet worden und sie habe auch nicht nur hier geprobt, sagt Leonhardt. Außerdem habe man mit den jungen Musikern diskutiert und so verhindert, dass sie das umstrittene Lied bei einem Konzert im JWP spielen.
Seit fast 18 Jahren gibt es den Verein, seit dem Jahr 2000 nutzt er die Schinkelstraße 15a. Das Eckhaus gehört der Stadt. Es gebe noch andere Jugendklubs in Neuruppin, aber keinen zweiten Anlaufpunkt dieser Art für die 14- bis 20-Jährigen, sagt Leonhardt. Ein Sozialarbeiter ist hier beschäftigt. Die übrige Arbeit wird ehrenamtlich erledigt.
Antifaschistische Arbeit mit Jugendlichen
Es gibt zum Beispiel eine kleine Glaserei, um die Scheiben des Hauses selbst zu reparieren. Immer wieder ging bei Nazi-Angriffen etwas zu Bruch. Im Seminarraum steht noch eine Ausstellung zur KZ-Gedenkstätte Ravensbrück. Das JWP organisierte dort im vergangenen Jahr einen Arbeitseinsatz. 40 Jugendliche machten mit, räumten Schutt vom Weg zum Siemens-Außenlager, säuberten die Schiene an der Verladerampe. »Es war das beste Projekt, dass ich je mitgemacht habe«, schwärmt Leonhardt. Im Sommer soll das Workcamp wiederholt werden. Diesmal mit 60 Jugendlichen. Solche antifaschistischen Aktionen zeichnen den Verein aus. »Das ist es, was wir machen, und das gerät in Gefahr, nur weil der Verfassungsschutz so eine Scheiße schreibt«, beklagt der Student. Antikapitalistisch eingestellt sei man und mit den bestehenden Verhältnissen nicht einverstanden. Aber: »Wir fordern nicht die Weltrevolution.«
Man könnte über die Äußerungen der Geheimdienstler schmunzeln, wenn sie nicht so ernste Folgen für die Betroffenen hätten, meint der Rheinsberger Linksparteivorsitzende Freke Over, der sich in der Roten Hilfe Neuruppin engagiert. Er fordert die Landesregierung auf, Altlasten der Ära von Innenministers Jörg Schönbohm (CDU) zu entsorgen, die Geheimdienst-Seilschaften der »Betriebskampfgruppe Schönbohm« auf Posten zu versetzen, »auf denen sie arbeiten müssen und weniger Schaden anrichten können«.
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