In Bolivien werden die höchsten Richter gewählt
Parlament verabschiedete jetzt entsprechendes Gesetz
»Es handelt sich hier um einen weltweit einzigartigen Prozess«, erklärte Héctor Arce, Präsident der Abgeordnetenkammer, in der die Bewegung zum Sozialismus (MAS) eine Zweidrittelmehrheit besitzt: Boliviens Präsident Evo Morales hat die Richterwahl durch alle Stimmberechtigten verkündet. Sei die Rechtsprechung im Andenland bisher von »Wirtschaft, Politik und Medien« beherrscht worden, so solle der Urnengang Ende des Jahres eine »echte Demokratisierung« fördern.
Zu besetzen sind 54 Posten am Obersten Verfassungsgericht, am Obersten Gerichtshof, an den Gerichten für Umwelt und Landwirtschaft und am Obersten Verwaltungsgericht. Wobei es eine 50-prozentige Frauenquote gibt. Mitglieder von Parteien und Bürgervereinigungen können sich nicht bewerben.
MAS-Senatorin Gabriela Montaño Viaña nannte die Gründe für die direkte Richterwahl, die in der Verfassung von 2009 zur legislativen »Neugründung« Boliviens verankert ist. Schon während des Verfassungsprozesses – auch der Konvent war 2006 per Direktwahl bestimmt worden – sei klar geworden, dass das Rechtsystem unter einem totalen Vertrauensverlust litt. Seit Erklärung der Unabhängigkeit Boliviens von der Spanischen Krone im Jahre 1825 sei es üblich, dass sich das Personal an den Schaltstellen der Justiz »verewigt«. Nur einer kleinen Elite stand die Juristenkarriere offen, hohe Positionen wurden aufgrund politischer Freundschaften vergeben, und die Schuld wurde »früher oder später« beglichen. Gabriela Montaño weiß wie jeder Bolivianer von gekauften Prozessen und Urteilen. »Für die Mehrheit der Menschen gibt es keine Gerechtigkeit. Wer kein Geld hat, der bekommt nie Recht«, sagte die Politikerin.
Bis zur Wahl im Oktober ist aber noch ein langer Weg. Nach Annahme des Gesetzes wird das zuständige Oberste Wahlgericht (TSE) die Wahl in die Wege leiten. In den nächsten Tagen wird das Parlament die Bewerbungen für die Richterposten ausschreiben. Nach Ablauf der Bewerbungsfrist von 20 Tagen hat das Parlament 60 Tage Zeit, um mit Zweidrittelmehrheit aus den gültigen Eingaben geeignete Kandidaten zu bestimmen. Nach dem Auswahlverfahren übernimmt schließlich das TSE das Ruder, entwirft die Stimmzettel, leitet die landesweite Informationskampagne, organisiert den Urnengang und verkündet die Resultate. Das Gesetz vom Sonntag sieht für diesen letzten Schritt 90 Tage vor.
Für die alte Machtelite ist die Wahl ein Schock. Nachdem sie schon im Parlament ohne Einfluss blieb, droht nun auch das Justizmonopol zu fallen. Entsprechend schrill ist die Gegenreaktion. Die »jakobinische« Linksregierung wolle die »Justiz unter die Guillotine« legen. Das Verbot eines klassischen Wahlkampfes zwischen den Kandidaten wertet die Opposition als »Ende von Demokratie und Pressefreiheit«. Das Gegenteil sei der Fall, findet Präsident Evo Morales: »Die Wahlen sollen ohne Bevorteilung irgendeines Bewerbers ablaufen«.
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