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Betrügerischer Kapitalismus
Fritz Reheis zeigt, wo Marx recht hat
Kleingeistig und geschichtsfern erscheinen nach dem Lesen des Buches von Fritz Reheis die kürzlich überall ertönten Verdammungen des Wortes »Kommunismus«, das die Vorsitzende einer deutschen Partei ein einziges Mal (zugegeben: ungenügend durchdacht) geäußert hatte. Ohne aufgeregte Agitation stellt der Dozent an der Universität Bamberg und erfolgreiche Autor die offensichtlichen, allbekannten Grundprobleme der Gegenwart dar und kommentiert sie ohne verzerrte Optik durch die Brille der Marxschen Theorie. Das geschieht mit einfacher Sprache, in populärer Darlegung. Vor uns liegt ein Meisterwerk der Aufklärung.
Wenn dabei gelegentlich das Wort Kommunismus fällt, geschieht es aus der Sache selbst. Und es geht eigentlich auch gar nicht um das Wort (das Marx höchst selten benutzte), sondern um eine herrschaftsfreie, ausbeutungsfreie Gesellschaftsordnung, eine »freie Assoziation der Produzenten«.
Gleich an zwei Stellen geht Reheis darauf ein, dass es ein Menschenrecht ist, über die Zukunft selbst zu bestimmen. »Die kapitalistische Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ... nimmt so dem Großteil der Menschen letztlich die Möglichkeit, die Zukunft selbst zu bestimmen, und legt diese Macht in die Hände einer kleinen Minderheit.« Und: »Wenn der Kapitalismus das Vertrauen auf sein ewiges Leben erzeugt, betrügt er die Menschen um die Möglichkeit, für die Zukunft eine andere Form des Lebens und des Wirtschaftens zu suchen und zu finden.« Man möchte ein Zitat nach dem anderen bringen, aber nur Selberlesen macht klug.
Natürlich wäre manches zu diskutieren. Die »Ökonomisch-philosophischen Manuskripte« können kaum als »Vorarbeit« zur »Deutschen Ideologie« bezeichnet werden, da sie einen ganz anderen Zweck hatten. Dass Marx die »Frage nach der prinzipiellen Vielfältigkeit und Offenheit des menschlichen Fühlens und Denkens ... noch nicht gestellt« habe, erscheint uns zweifelhaft, und so einfach, wie auf Seite 86 gesagt, lässt sich die Zerschlagung der DDR-Industrie nicht erklären. Wenn Reheis in späteren Auflagen die Exzerpte und Briefe von Marx einbezieht, wenn er neben den MEW auch die MEGA heranzieht, könnte er seine Argumentation erweitern und verfeinern.
Als Marx und Engels im »Kommunistischen Manifest« davon sprachen, in Zeiten, in denen der »Auflösungsprozeß ... der ganzen alten Gesellschaft« sich einer Entscheidung nähert, würden einzelne »Ideologen«, die »zum theoretischen Verständnis der ganzen geschichtlichen Bewegung sich hinaufgearbeitet haben«, auf die Seite der Zukunft übergehen (MEW 4, S. 471f), meinten sie wohl u. a. sich selbst. Aber diese Erscheinung gab es immer wieder. Reheis nennt Erich Fromm und Ernst Bloch. Sein eigner Name ist dieser Ehrenreihe nach diesem Buch unbedingt hinzuzufügen.
Reheis ist durchaus nicht allein. Vom Wirtschaftsethiker Ingo Pies stammt der Satz: »Eine konstruktive Marx-Rezeption steht in mancherlei Hinsicht vielleicht noch ganz am Anfang«; der Mainzer Rechtsphilosoph Gerhard Engel sagte: »Es ist die Verkürzung des Arbeitstages, die der späte Marx als entscheidendes Kriterium für die Menschlichkeit einer Wirtschaftsordnung erkennt ... Aber das bedeutet auch: Eine Gesellschaft wie die unsrige, die es nicht schafft, (wieder) steigende Wochenarbeitszeiten und (weiterhin) steigende Arbeitslosenzahlen zu vermeiden, muß sich mit Marx vorhalten lassen, in humanistischem Sinne zu verelenden – weil offenbar die ökonomischen Mechanismen noch nicht so weit durchschaut sind, daß die humanistischen Kollateralschäden kapitalistischen Wirtschaftens weiter verringert werden können.« Reheis selbst nennt den hochrangigen Juristen und Rechtsphilosophen Ernst-Wolfgang Böckenförder, der in der »Süddeutschen Zeitung« ähnliche Gedanken äußerte.
Das gemeinsame Ziel solcher Überlegungen, die Vision sei es, »den Vorrang der demokratischen Politik gegenüber den Zwängen der Ökonomie zurückzugewinnen und eine neue kollektive Identität für die orientierungslos gewordene Spät- und Postmoderne zu stiften.« Es ist die Paraphrase eines Luther-Satzes, wenn Reheis schließt: »Auch wenn die Früchte einer solchen Vision erst in Jahrzehnten geerntet werden können, sollten wir mit dem Pflanzen der Bäumchen morgen beginnen.«
Fritz Reheis: Wo Marx Recht hat. Primus Verlag, Darmstadt 2011. 208 S., geb., 19,90 €.
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