Trio Infernale in der Russendisko
Roman von Wladimir Kaminer wird derzeit in den Filmstudios Babelsberg und in Berlin verfilmt
Im Sommer 1990 verbreitete sich in Moskau das Gerücht, Erich Honecker wolle Menschen jüdischen Glaubens aus der Sowjetunion eine neue Heimat bieten. Mit dieser Legende, die er selbst wenige Sätze später liebevoll berichtigt, beginnt Wladimir Kaminers autobiografische Kurzgeschichtensammlung »Russendisko«. Im spannenden, wilden Berlin des Einheitsjahres findet er seine große Liebe Olga und sucht mit seinen Freunden Mischa und Andrej mit unzerbrüchlichen Optimismus nach Selbstverwirklichung und einer neuen Heimat. Der in der russischen Seele fest verankerte Spruch »Wsjo Budet« wird zu ihrem Lebensmotto – sie wollen aber nicht länger abwarten, was andere für sie entscheiden, sondern ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten. Dazu gehört der Traum von einer eigenen Disko. Die wilden Nächte im »Café Burger« werden bald Kult in der multikulturellen Szene der Hauptstadt.
Vor neun Jahren hat Produzent Christoph Hahnheiser die Filmrechte gekauft. Kaminer selbst versuchte sich zunächst an einem Drehbuch, merkte aber schnell, dass die lange Form nicht sein Ding ist. Mehrere Autoren und Regisseure später fand Oliver Ziegenbalg endlich einen Roten Faden, um die Momentaufnahmen zu einer stringenten Story zusammenzufassen. »Ich wollte zunächst ablehnen, weil ich das Buch für unverfilmbar hielt und mit meiner wenige Monate alten Tochter Urlaub machen wollte«, erzählt der Autor. »Im Flugzeug erinnerte ich mich an ›Die fabelhafte Welt der Amelie‹ und fand den Schlüssel. Der Film vermittelt ein Gefühl von Paris und hat nie den Anspruch, eine reale Geschichte zu erzählen. ›Russendisco‹ beschreibt eine Idee von Berlin, in dem alles möglich scheint. Das gab mir die Freiheit, eine märchenhaft überhöhte Großstadt-Welt zu schaffen und gleichzeitig eigene, skurrile Erlebnisse einzubauen.«
Im Vordergrund bleibt die Freundschaft der Russen. »Ich bin nicht in der DDR aufgewachsen und habe 1990/91 in Karlsruhe gelebt. Daher kann ich kein Geschichtsexperte sein. Ich bin aber Experte für Jungs, die mit Energie ihr Ding durchziehen«, bekennt Ziegenbalg, der bereits das Drehbuch für die erfolgreiche Komödie »Friendship« geschrieben hatte, in der sich zwei Ossis mit mangelnden Englischkenntnissen und wenig Geld 1990 in den USA durchschlagen.
Das unschlagbare Duo wurde von Matthias Schweighöfer und Friedrich Mücke gespielt. »Als ich später über Wladimir geschrieben habe, dachte ich unwillkürlich an Matthias. Er bewegt sich wie Kaminer und hat auch diese unwiderstehliche Energie«, bekennt Ziegenbalg. Friedrich Mücke überzeugte beim Vorspiel und durch sein Können auf der Gitarre. »Jetzt sind wir ein Trio Infernale, das in beinahe jeder Szene zusammen ist«, verspricht er. Christian Friedel, bekannt geworden in dem streng inszenierten Arthouse-Film »Das weiße Band«, musste sein Spiel gewaltig umstellen. »Ich habe gerne gelernt, dass ich viel spontaner sein sollte, um den Film lebendiger zu machen.«
Diese Energie ist am Set in der Berliner Straße in Babelsberg, wohin die Crew für sechs Tage aus Berlin umgezogen ist, zu spüren. Ziegenbalg dreht hier seinen »Notting Hill«-Mastershot. Eine Straßenszene, die viermal im Film den Wechsel der Jahreszeiten anzeigt. Zusätzliches Zeit-Colorit und Orientierung im Wirbel des Umbruchs sollen zwei Läden mit wechselnden Besitzern geben. Im Sommer 1991 sind ein Lokal und ein Gemüsehändler eingezogen. Zum Jahreswechsel prangen noch Schnapsflaschen Made in GDR, die es damals kaum noch als Bückware gab, und das Insignum des Konsums im Schaufenster. Die graue Szenerie wirkt, als stehe sie noch von den Dreharbeiten von Matti Geschonnecks Erinnerungen an die eigene Jugend am »Boxhagener Platz« in den 1960ern.
Ausgelassene Menschen bahnen sich in der tristen Kulisse ihren Weg durch bunte Böller und Silvesterraketen. In der Menge findet die Kamera von Tetsuo Nagata die drei Hauptdarsteller, die mit ihren Freundinnen (Susanne Bormann, Peri Baumeister) das neue Jahr begießen. Nach dem Cut für das Ende des Drehs der aufwendigen Szene liegen sich Mücke und Ziegenbalg wie Fußballer nach einem erfolgreichen Torschuss in den Armen. »Das war geil«, freut sich der Regisseur.
Er hat den Regiestuhl nach fünf Drehtagen von Oliver Schmitz übernommen. »Diese Entscheidung ist mir sehr schwer gefallen, weil ich mit ihm seit 19 Jahren befreundet bin«, so der Produzent zu dieser ungewöhnlichen Entscheidung. »Wir waren uns aber nach den ersten Mustern einig, dass wir unterschiedliche Visionen vom Film hatten. Wir standen dann vor der Wahl, den Dreh abzublasen oder dem zu übergeben, der die Geschichte und die Figuren genau kannte.«
Ziegenbalg zögerte nicht lange, als er gefragt wurde, das Projekt zu übernehmen. »Die Entscheidung war richtig. Ich hätte die Verantwortung für einen Film mit diesem Budget und der Erwartung, das er ein Publikumserfolg wird, nicht übernommen, wenn ich nicht vor mir gesehen hätte, was jeder Einzelne machen muss.«
6,5 Millionen Euro kostet der Film, der in 44 Tagen abgedreht sein muss. Neben Fördergeldern und der Sendergruppe Pro Sieben/Sat1 ist Produzentenlegende Arthur Cohn mit eigenem Geld eingestiegen. Der sechsmalige Oscar-Gewinner wird den Film auch international vermarkten. In Deutschland wird er im Frühjahr 2012 vom amerikanischen Mayor Verleih Paramount ins Kino gebracht. Ein bis zwei deutsche Filme will er künftig in seine Staffel aufnehmen und sich damit für den einheimischen Film engagieren, verspricht Geschäftsführer Sven Sturm.
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