Die Kontrahenten bringen sich in Stellung
Mit dem Fall Strauss-Kahn werden die Karten in Frankreichs Präsidentschaftswahlkampf neu gemischt
Der Sexskandal, in den Dominique Strauss-Kahn im fernen New York verwickelt sein soll, hat in Europa und vor allem in Frankreich auf einen Schlag sehr viel verändert. Sein persönlicher Einfluss wird fehlen, wenn es in der Euro-Zone darum geht, alle Länder bei der Hilfe für Griechenland und Portugal auf eine Linie zu bringen. Wenn die Vorwürfe gegen Strauss-Kahn nicht entkräftet werden können, steht seine alsbaldige Ablösung an der Spitze des IWF auf der Tagesordnung. Dann dürfte Europa diese wichtige Position aller Voraussicht nach an eines der aufstrebenden Entwicklungsländer verlieren. Die Hotelzimmer-Affäre schadet nicht zuletzt dem Ansehen Frankreichs in der Welt und vor allem in den USA, wo der Fall viele alte Vorurteile gegen die Franzosen bestärken dürfte.
Diesen Ansehensverlust werfen die meisten rechten Politiker, die sich zu »DSK« äußern, dem IWF-Chef vor. Unerwähnt lassen sie geflissentlich, dass die Rechte in Strauss-Kahn ihren gefährlichsten Gegner für die Präsidentschaftswahlen 2012 verliert. Noch in der vergangenen Woche hatte eine Umfrage ergeben, dass Strauss-Kahn im ersten Wahlgang mit 26 Prozent der Stimmen hätte rechnen können – gegenüber 22 Prozent für die Parteichefin der rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, und 21,5 Prozent für den derzeitigen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Jetzt dürfte es erheblich knapper werden, denn falls François Hollande als Spitzenkandidat der Sozialisten antritt, kann er mit 23 Prozent rechnen – genauso viel wie Marine Le Pen – gegenüber 22 Prozent für Nicolas Sarkozy.
Bei den Sozialisten hat die Affäre »wie Blitz und Donner eingeschlagen«, wie die Parteivorsitzende Martine Aubry erklärte. Für den heutigen Dienstag ist eine Krisensitzung des erweiterten Parteivorstands anberaumt. Es ist zu erwarten, dass jetzt die persönlichen Ambitionen der verbliebenen und auch neuer Kandidaturanwärter in der PS abermals angefacht werden, die sich spätestens bis Mitte Juli erklären müssen, bevor im Oktober eine Basisabstimmung den Präsidentschaftskandidaten der Sozialisten küren soll. Jetzt dürfte der ehemalige Parteichef Hollande die besten Aussichten haben. Sein nüchternes Wesen könnte sich als Vorteil erweisen, denn er personifiziert für viele Franzosen Sachlichkeit und Korrektheit im Gegensatz zum »Bling-Bling-Stil« sowohl Nicolas Sarkozys als auch Dominique Strauss-Kahns. Letzterer fiel kürzlich bei einem Paris-Besuch nicht nur durch Fahrten mit dem Porsche eines Freundes auf, was den Medien nicht verborgen blieb und seiner Glaubwürdigkeit als Interessenvertreter der arbeitenden Franzosen bei den linken Wählern nicht gerade förderlich war.
Er hatte auch ein aufschlussreiches Hintergrundgespräch mit Journalisten. Darüber berichtet jetzt die Zeitung »Libération«, die sich durch die neuesten Entwicklungen nicht mehr an die vereinbarte Vertraulichkeit gebunden fühlt. Dabei habe Strauss-Kahn von sich aus auf die »drei Handicaps« verwiesen, die er für seine Wahl zum Präsidenten sieht. Da ist zunächst seine Herkunft als Jude – in Frankreich ist zwar kein offener, aber doch latenter Antisemitismus nach wie vor verbreitet. Der zweite Stolperstein ist sein Verhältnis zum Geld, denn dass er Luxus liebt und ihn sich dank des Vermögens seiner Frau auch leisten kann, ist bekannt. Vor allem jedoch sei da seine legendäre Schwäche für Frauen. Dass er zum vierten Mal verheiratet ist, hat ihn nie gehindert, anderen Frauen mit viel Charme und oft auch großem Nachdruck nahezutreten. Die Zahl seiner »Eroberungen« ist groß.
Bisher gab es aber keinen Hinweis darauf, dass DSK gewalttätig werden könnte. Erst nach den neuesten Entwicklungen hat sich jetzt die Journalistin Thristane Banon zu einer Klage wegen versuchter Vergewaltigung entschlossen. Sie hat 2002 Strauss-Kahn interviewt und konnte sich seinerzeit nur mit Mühe seiner Übergriffe entziehen.
Natürlich gibt es gegenwärtig – vor allem im Internet – auch Spekulationen darüber, dass Dominique Strauss-Kahn vielleicht Opfer einer Intrige wurde und seinen Gegnern in die raffiniert aufgestellte Falle gegangen ist. Französische Medien berichteten am Montag über ein mögliches Alibi des IWF-Chefs. Demnach war der 62-Jährige zur mutmaßlichen Tatzeit gar nicht in dem Hotel. Eine DNA-Analyse soll nun mehr Klarheit bringen.
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