Ein König auf Zeit

Der Spanier Alberto Contador nutzt den Giro als Promotiontour

  • Tom Mustroph, Belluno
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Spanier beherrscht den Giro d'Italia. An Alberto Contadors Dominanz können weder die Konkurrenz noch die rekordverdächtige Schwierigkeit des Kurses etwas ändern. Weil die Regierungszeit des dopingüberführten Spaniers im Radsport durch das ausstehende Verdikt des Sportgerichtshofes CAS zeitlich arg beschränkt sein könnte, kostet der »Pistolero« aus Pinto die gegenwärtige Situation in vollen Zügen aus.

Auch ein Alberto Contador muss einmal durchschnaufen. »Puh, das war die härteste Etappe meiner ganzen Rennfahrerlaufbahn«, sagte er nach der 15. Etappe von Conegliano zur Gardecchia-Hütte. Sie führte über fünf Bergwertungen und knapp 6000 Höhenmeter und stellte damit den bisherigen Höhepunkt einer an Extremen überreichen Veranstaltung dar.

Selten hatte in modernen Zeiten eine Rundfahrt so viele Berge im Programm wie der 94. Giro. Niemals mussten so viele Höhenmeter (etwa 40 000) überwunden werden. Lange nicht ließ sich ein zahlenmäßig so großes Peloton – je neun Fahrer aus 23 Teams – auf eine solche Reise schicken. Auch der Blutzoll – ein Todesfall auf der dritten Etappe und viele Stürze – war selten so erschreckend hoch.

Kein Wunder also, dass unter solchen Umständen ein neuer Tribun geboren wird. Während in den USA die Karriere von Lance Armstrong unter immer neuen Kronzeugenaussagen zum Lebensweg eines Großbetrügers mutiert, wird sein Nachfolger und Intimfeind Alberto Contador in Italien zum »König der Dolomiten« (Gazzetta dello Sport) und »Admiral einer unbesiegbaren Armada« (Corriere della Sera) ausgerufen.

Vor Beginn der dritten Giro-Woche führt der Saxo-Bank-Kapitän das Klassement mit über vier Minuten Vorsprung an. Aussichten auf eine Veränderung sind gering. »Das Bergzeitfahren in Nevegal und auch das Zeitfahren in Mailand kommen mir entgegen«, meinte Contador selbstbewusst. Das Bergzeitfahren wird heute ausgetragen, die Etappe in Mailand beschließt am Sonntag den Giro.

Hauptkonkurrent Vincenzo Nibali konnte ihm nur in der Abfahrt gefährlich werden. Bergauf ist Contador das Maß aller Dinge. Seine Überlegenheit ist so enorm, dass er sogar die übliche Abwartetaktik der Rundfahrtcracks aufgab. Holte Contador sich seine bisherigen Siege vor allem mit Powereinlagen auf wenigen Etappen, liefert er beim Giro 2011 ein Feuerwerk an Attacken ab. Er überraschte das Peloton im Sprintfinale von Tropea und griff kurz entschlossen auf den steilsten Abschnitten an Ätna, Großglockner, Zoncolan und Gardeccia an.

Noch überraschender ist, dass er trotz dieser Demonstration der Stärke seinen unbändigen Siegeshunger zügelte und gnädig mit ihm kollaborierenden Fahrern anderer Teams die Etappensiege überließ.

Das verschaffte ihm neue Freunde. Die sollten angesichts der Unabhängigkeit des Gerichts zwar keinen Einfluss auf das ausstehende Urteil des CAS haben. Aber dieser Charakterwandel von einer wortkargen, knallhart kalkulierenden Siegesbestie in eine Doppelfigur aus angriffslustigem Sportler und Patron, der auch zu geben versteht, sorgt zumindest für ein neues Kapitel im Geschichtsbuch des Straßenradsports. Und er konditioniert das Terrain, auf dem eine Entscheidung des CAS diskutiert und interpretiert wird. Ein cleveres Manöver.

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