Freudenfeiern der Linken in Italien
Anfang vom Ende der Berlusconi-Ära?
»Wir wissen nicht was danach kommt«, bringt es der Satiriker Michele Serra auf den Punkt, »aber jetzt wissen wir zumindest, dass es ein Danach überhaupt gibt!« Zum ersten Mal seit über sieben Jahren haben die Italiener bewiesen, dass sie sich ein Land ohne Silvio Berlusconi vorstellen können, dass sie es sich sogar wünschen. Kandidaten linker Parteien haben in den Stichwahlen teils haushoch gewonnen und damit nicht nur ihre rechten Rivalen, sondern zweifellos auch der Regierung eine Ohrfeige verpasst. Denn Giuliano Pisapia in Mailand, Luigi De Magistris in Neapel oder Roberto Cosolini in Triest haben nicht nur die Misswirtschaft in ihren Städten angeprangert, sondern auch die Politik der Zentralregierung in Rom. Die Wähler haben bewiesen, dass sie keine Angst vor Rumänen, Roma, Tunesiern und Muslimen haben, mit denen sie Silvio Berlusconi schrecken wollte, dass für sie die Staatsanwälte keine »roten Verbrecher« sind und dass sie eine Regierung wollen, die sich nicht vorrangig mit den persönlichen Angelegenheiten des Ministerpräsidenten beschäftigt, sondern endlich die wirklichen Probleme des Landes angeht und vor allem etwas für die Zukunft der Jugend tut.
Auch wenn es noch keine eingehenden Wahlanalysen gibt, ist doch klar, dass es vor allem junge Wähler waren, die der Linken zu Siegen verhalfen. Sie haben honoriert, dass endlich wieder jemand über prekäre Arbeitsverhältnisse, die Misere an den Universitäten und die Umwelt spricht, dass Kandidaten angetreten sind, die die leisen Tönen bevorzugen und auch über Werte sprechen. »Ich will eine glückliche Stadt«, sagte Giuliano Pisapia, der neue Bürgermeister von Mailand, das 18 Jahre lang von Berlusconis Parteigängern dominiert wurde. Und Nichi Vendola, Vorsitzender der Partei Linke, Ökologie und Freiheit (SEL), der etliche der neuen Bürgermeister angehören, erklärte: »Dies ist der Sieg der Eleganz und der Leidenschaft über das Vulgäre und die Geschäftemacherei.«
In der rechten Koalition machen sich erste Zerfallserscheinungen bemerkbar. Ganz offen wird diskutiert, was noch vor wenigen Wochen schier undenkbar gewesen wäre: Ob es nicht besser wäre, wenn Berlusconi sich zur Ruhe setzte und das Zepter anderen übergäbe. Seine Partei »Volk der Freiheit« (PdL) gleicht einem aufgeschreckten Hühnerhaufen, auch wenn der Ministerpräsident tönt, es gebe keinen anderen Weg, »als die Nerven zu behalten und voranzuschreiten«. Nach jeder Niederlage verdreifache er seine Kräfte, prahlte Berlusconi. Die Lega Nord ließ durch ihren Chef Umberto Bossi zwar wissen, man werde weiter an der Seite des »Cavaliere« stehen, aber die Basis fordert ein Umdenken. Die rechtspopulistische Lega verlor schließlich sogar ihre Hochburg Novare.
Aber auch innerhalb der Linken hat man jetzt wenig Zeit, sich auf den gerade gewonnenen Lorbeeren auszuruhen. Die Grabenkämpfe müssten ein Ende haben. Die Demokratische Partei (PD) bleibt mit großem Abstand die wichtigste Oppositionspartei im Land, doch muss sie klare Verhältnisse mit den möglichen Verbündeten links und im Zentrum schaffen. Nichi Vendolas SEL hat sich zur viertgrößten Partei im Land gemausert und ihr Vorsitzender, derzeit Ministerpräsident von Apulien, gibt offen zu, dass er sich vorstellen könnte, morgen in Rom Regierungschef einer breiten linken Koalition zu werden.
Für Italien hat wohl eine neue Ära begonnen; es habe »eine Revolution« stattgefunden, kommentiert sogar die bürgerliche Zeitung »Corriere della Sera« wohlwollend.
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