Blatter unter Druck
Die heutige Wahl des FIFA-Präsidenten soll verschoben werden
An diesem Mittwoch soll der neue und alte FIFA-Präsident gewählt werden. Doch von Festtagsstimmung vor dem Kongress auf dem Züricher Messegelände keine Spur. Noch immer ist unklar, ob die Wahl stattfindet.
FIFA-Boss Joseph Blatter gerät immer stärker unter Beschuss, sein Verband kämpft um die Handlungsfähigkeit. Wenige Stunden vor der offiziellen Eröffnungszeremonie beim FIFA-Kongress in Zürich forderten der englische und schottische Fußball-Verband eine Verlegung der für Mittwoch vorgesehenen Präsidentenwahl. Auch vier Hauptsponsoren des Weltverbandes (FIFA) verstärken den Druck auf den krisenerprobten Blatter. Der 75 Jahre alte Schweizer hält jedoch trotz diverser Schmiergeldaffären in seiner Organisation unbeirrt am Wahltermin fest. Ob per Akklamation oder geheimer Abstimmung – Blatter will diese vierte Amtszeit auf dem FIFA-Thron unbedingt.
Die englische Football Association (FA) drängte darauf, »die Wahl aufzuschieben, dass ein alternativer Reformkandidat die Möglichkeit bekommt, zur Präsidentenwahl anzutreten«, erklärte Verbandschef David Berstein, der auf Unterstützung durch weitere Verbände hoffte. UEFA-Präsident Michel Platini zeigte sich vom Vorpreschen der Engländer »überrascht«. Bei einer Sitzung der Europäischen Fußball-Union (UEFA) am Montag sei dies kein Thema gewesen.
Dafür war eine angebliche Enthüllungs-Pressekonferenz zur WM-Vergabe an Katar Tagesgespräch auf dem Zürichberg. Die »Entourage« eines ehemaligen FIFA-Offiziellen wollte am Nachmittag in einem Fünf-Sterne-Hotel Beweise für eine gekaufte WM 2022 präsentieren. Sogar Belege und Kontoauszüge waren angekündigt, die Korruption bei der erfolgreichen WM-Bewerbung Katars belegen sollten. Die Namen von vier hochrangigen Mitgliedern der FIFA-Exekutive standen auf einer dubiosen Einladung, die von einem noch dubioseren Informanten verschickt wurde. Nur: Die mit großem Getöse angekündigte Pressekonferenz fand nicht statt.
Wie die Zukunft nach diesen turbulenten Tagen im Tollhaus FIFA aussehen wird? Blatter'sche Lippenbekenntnisse wie »Null Toleranz bei Korruption« oder »Wir stecken in Schwierigkeiten, lösen diese aber innerhalb der Familie« werden nicht mehr ausreichen, wenn der krisengeschüttelte Verband eine Zukunft haben will. Blatter müsste seinen ganzen Laden auseinandernehmen und schleunigst strukturelle Reformen vorantreiben. Dass er dazu in der Lage ist, bezweifeln viele.
Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass Blatter nach einer erfolgreichen Wiederwahl nach zwei Jahren abtritt und den Weg für einen Neubeginn freimacht – unter einem Präsidenten Michel Platini. Der Franzose gilt als einzig möglicher Blatter-Nachfolger. Die Frage ist nur, ob erst 2015 oder schon früher.
Blatter selbst ging am Dienstagmorgen nochmals auf Werbetour in eigener Sache. Doch sein Auftritt um 9.30 Uhr im Züricher Nobelhotel »Renaissance« bei den Vertretern der Asiatischen Konföderation AFC soll »schlimm« gewesen sein, so berichtete ein FIFA-Insider später. Nach bislang unbestätigten Angaben sollen Delegierte von »neun oder zehn« AFC-Verbänden bereits abgereist sein aus Protest gegen die Suspendierung des einstigen Präsidentschaftskandidaten Mohamed bin Hammam.
Der 62-Jährige war am Sonntag von der FIFA-Ethikkommission wegen Korruptionsvorwürfen vorläufig suspendiert worden. Er bestreitet alle Vorwürfe, auch die einer gekauften WM 2022 in Katar, und legte prompt Einspruch gegen seinen Ausschluss ein.
Trotz aller Irrungen und Wirrungen in diesem Possenspiel hält die FIFA an dem absurd anmutenden Wahltermin fest, obwohl immer neue Details bekannt werden. So soll der paraguayische Spitzenfunktionär Nicolas Leoz als Gegenleistung für seine Unterstützung der WM-Bewerbung Englands gefordert haben, dass der traditionsreiche englische Pokalwettbewerb nach ihm benannt wird.
Leoz, seit 1986 Präsident des südamerikanischen Verbandes CONMEBOL, bestreitet alle Vorwürfe. Ex-FA-Chef David Triesman hatte vor drei Wochen sogar behauptet, der 82-Jährige habe einen Ehrenrittertitel für seine Stimme gefordert.
Ehrenwerte Herren. Fast die Hälfte der FIFA-Exekutive steht oder stand unter Betrugsverdacht:
Mohamed bin Hammam (62, Katar): Einen Tag nach dem Rückzug seiner Präsidentschaftskandidatur von der FIFA-Ethikkommission suspendiert. Beim Treffen der Karibischen Fußball-Union am 10. Mai in Trinidad soll er versucht haben, mit einer Million Dollar die Stimmen von 25 karibischen Funktionären zu kaufen. FIFA-Exekutivmitglied seit 1996, seit 2002 Präsident des Kontinentalverbandes Asien (AFC).
Jack Warner (68, Trinidad & Tobago, FIFA-Vize): Kündigt einen »Fußball-Tsunami« an. Als vermeintlicher Komplize von bin Hammam wird er beschuldigt, in Trinidad jedem Delegierten 40 000 Dollar Bargeld angeboten zu haben. Vorläufig suspendiert. Der frühere englische Verbandschef David Triesman beschuldigt ihn, unlautere Forderungen vor der WM-Vergabe gestellt zu haben.
Joseph Blatter (75, Schweiz, FIFA-Präsident): Bin Hammam wirft ihm vor, von angeblichen Zahlungen an FIFA-Mitglieder aus der Karibik gewusst, aber zunächst nichts dagegen unternommen zu haben. Der FIFA-Boss musste ebenfalls vor die Ethikkommission, wurde aber nicht sanktioniert.
Julio Grondona (79, Argentinien, FIFA-Vize): Soll laut »The Wall Street Journal« als Chef des argentinischen Verbandes 78,4 Millionen Dollar aus Katar erhalten haben. Wies Vorwürfe zurück, hält Korruption im Weltverband aber für möglich: »Ich glaube, dass es überall Korruption gibt. Niemand ist perfekt.« Intimus von Blatter.
Issa Hayatou (64, Kamerun, FIFA-Vize): Vom britischen Politiker Damian Collins beschuldigt. Soll 1,5 Millionen Dollar dafür bekommen haben, bei der Vergabe der WM 2022 für Katar zu votierten. Soll auch in den 90er Jahren Bestechungsgelder angenommen haben. Seit 1988 Präsident der afrikanischen Konföderation CAF.
Ricardo Teixeira (63, Brasilien): Soll vor der Abstimmung über die WM 2018 Gegenleistungen für sein Votum gefordert haben. Die FIFA entlastete ihn. Andere Bestechungsvorwürfe gehen bis in die 90er Jahre zurück. Exekutive seit 1994.
Nicolás Leoz (82, Paraguay): Wurde wie Teixeira von Triesman beschuldigt. Soll einen Ehrenrittertitel für seine Stimme für Engöland gefordert haben. Die FIFA entlastete ihn von den Vorwürfen. Ebenfalls in den 90er Jahren beschuldigt.
Worawi Makudi (59, Thailand): Ebenfalls von Triesman wegen Bestechung beschuldigt. Am Montag entlastete ihn die FIFA von den Triesman-Vorwürfen. Wegen der Affäre aber nicht mehr Präsident des thailändischen Verbandes.
Jacques Anouma (59, Elfenbeinküste): Vom britischen Politiker Collins beschuldigt: Für seine Stimme für Katar 2022 soll er 1,5 Millionen Dollar bekommen haben. Katar bestreitet die Zahlungen, Anouma die Vorwürfe.
Reynald Temarii (43, Tahiti): Soll bereit gewesen sein, seine Stimmen bei der Vergabe der WM 2018 und 2022 zu verkaufen. Im November 2010 von der FIFA-Ethikkommission für ein Jahr von allen Aktivitäten ausgeschlossen worden.
Amos Adamu (58, Nigeria): Wie Temarii wird ihm vorgeworfen, seine Stimmen für die WM 2018 und 2022 verkauft zu haben. Wurde von der FIFA im November 2010 für drei Jahre gesperrt. Exekutivmitglied seit 2006.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.