Kultur ist ein Grundnahrungsmittel
Stefan Fischer-Fels kommt zum Gripstheater zurück, um es sanft zu revolutionieren
ND: Was hat sich in den acht Jahren, in denen Sie vom Gripstheater weg waren, dort verändert?
Fischer-Fels: Im Gripstheater hat sich nicht soviel geändert, weil das Theater einen künstlerischen Leiter hatte, der seine Überzeugung konsequent gelebt hat. Aber ich habe mich verändert. Ich habe erfahren, dass ich ein Haus leiten kann. Und ich habe gelernt, dass es über die sinnvolle Art des Gripstheaters – das wirklich mein Lieblingstheater ist – noch zwei, drei andere Arten gibt, Theater zu machen, die dennoch nicht den Grundgedanken verraten.
Worin bestehen diese anderen Arten?
In Düsseldorf habe ich mich anregen lassen von den Mitteln des zeitgenössischen Tanzes. Zeitgenössischer Tanz kann, wenn er nicht nur um sich selbst kreist, dem Spiel eine Tiefe geben, in die das Wort nicht gelangt. Musik ist im Gripstheater bereits ein ausgeformtes Mittel, aber es gibt mehr Möglichkeiten, als eine Rockband auf die Bühne zu holen. Eine Frage, die mich stark beschäftigt, ist auch, wie stellt man als 30-, 35-jähriger Schauspieler überhaupt Kinder und Jugendliche dar? Ich glaube, dass Kinder und Jugendliche mit ihrer heutigen Medienerfahrung mir nicht abnehmen, dass ich ein Kind bin. Tja, wie sollte man mit diesem Problem umgehen? Man soll nicht verhüllen, dass man ein Erwachsener ist, sondern sagen: Wir möchten euch etwas vorspielen. Wir meinen euch! Wir sprechen euch an! Wir müssen in einen Dialog kommen und vermitteln: Wir glauben, dass es wertvoll ist, dass du dich mit Kunst, Kultur und dieser Gesellschaft beschäftigst, mit der du lebst. Das wäre mir wichtig.
Sie scheinen entflammt von diesem Dialog. Was reizt Sie an Kinder- und Jugendtheater besonders?
Ich erlebe immer wieder, dass Kinder und Jugendliche sehr prägsam sind. Theater fährt wie ein Blitz in ihre Seele ein. Ich denke heute noch an meine Kindheitserfahrungen. Eine Stunde Theater ist prägender als die vielen Stunden Fernsehen, die man als Kind schon erlebt hat. Der Moment, dass andere Menschen es für Wert befinden, ein großes Spektakel auf die Bühne zu bringen, das mit meinem Leben zusammenhängt, ist eine ganz großartige Sache. Dass Menschen etwas für Menschen machen und unmittelbar dabei zu erleben sind, das ist für mich die große Stärke des Theaters und des Kinder- und Jugendtheaters in besonderem Maße.
Was bleibt vom alten Gripstheater?
Ich habe viel Personal übernommen. Ich wollte nicht den klassischen Intendantenwechsel vollziehen nach dem Motto: Jetzt komme ich und mache alles neu. Das geht am Grips nicht. Volker Ludwig bleibt als Geschäftsführer. Ich bin froh, einen solch erfahrenen Mann zu haben, der mir den Rücken frei hält. Dann habe ich ihn gefragt, ob er hin und wieder Hausautor sein will.
Ein cleverer Zug. Wie hat Volker Ludwig reagiert?
Ich glaube, er hat sich gefreut. Dass er als erstes eine Kästner- Bearbeitung vornimmt, ist eine besonders glückliche Fügung. Kästner ist der Großvater des Gripstheaters. Denn er hat in den 20er Jahren gesagt, realistische Geschichten von Kindern sind es wert, erzählt zu werden. Als ich Volker fragte, ob er sich vorstellen kann, etwas mit Kästner zu machen, hat er mir gesagt: Kästner ist ein Idol für mich, der begleitet mein ganzes Leben. Und dann haben die Kästner-Erben noch festgestellt: Volker Ludwig ist der legitime Nachfolger von Erich Kästner. Jetzt macht er ausgehend von »Pünktchen und Anton« ein aktuelles Stück zu Armut und Wohlstandsverwahrlosung, was übrigens auch das Thema unseres Kinderkongresses ist.
Das klingt prima. Aber dennoch ist es nicht einfach, den alten Chef weiter im Hause zu haben. Wie ist Ihr Verhältnis zu ihm?
Ich habe viel von ihm gelernt und bewundere ihn, für das, was er macht. Von einer starken Persönlichkeit kann man sich aber auch klar absetzen und sagen, ich mache das anders. In künstlerischen Fragen werde ich keinen Kompromiss zulassen. Es wird nicht konfliktlos gehen, aber bisher haben wir alle Konflikte souverän gelöst, weil wir das Gefühl hatten, wir treffen uns an einem Punkt, an dem es um gutes Theater geht.
Aus Düsseldorf bringen Sie neben einigen Regisseuren und Autoren auch einen ganz besonderen Ansatz mit: Theater auf Rezept. Was verbirgt sich hinter diesem Konzept?
Ich habe darüber nachgedacht, wie man den Gedanken einbringen kann, dass Kultur kein Luxus ist, sondern Grundnahrungsmittel. Ich habe mich gefragt, wo müssen Kinder hin außer in die Schule. Da sind mir die Kinderärzte eingefallen. Und ich habe sie gefragt, ob sie der Idee, Theater trage zur Gesundheit bei, etwas abgewinnen könnten. Gesundheit ist mehr ist als nur die Abwesenheit von Krankheit. Die Kinderärzte fanden das großartig. Auch sie versuchen, einen anderen Gesundheitsbegriff zu entwickeln als den: Wenn du Kopfschmerzen hast, nimmst du eine Tablette. So haben wir die Idee entwickelt, dass der Arzt zur Pflichtuntersuchung ein Rezept auf Theater ausstellt, das binnen eines Jahres eingelöst werden kann. Theater fungiert als eine Apotheke für seelische Gesundheit.
Wie sehen Sie Ihren Weg vom Grips über Düsseldorf zurück zum Grips. Ist das ein Aufstieg? Ein Abstecher? Eine Kreisfahrt?
Für mich ist das eine Erfüllung eines Traums. Als ich vorher im Grips gearbeitet habe, habe ich mich auch viel geärgert. Aber diese Grundidee ist so wertvoll, dass sie weitergeführt werden muss. Und so habe ich zu träumen gewagt, dass ich das könnte. Als Volker dann anrief und mich fragte: Willst du das machen? Da habe ich einfach nur Ja gesagt. Danach haben wir ein Dreivierteljahr darum gerungen, wie das gehen könnte. Ich weiß nicht, ob es funktionieren wird. Aber ich muss mir nichts weiteres wünschen. Jetzt muss es nur noch gut werden.
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