Frauen, Alte und Kinder zuerst
Bundesregierung stellte ihr Fachkräftekonzept vor / Kritik von Gewerkschaft und Opposition
Berlin (Agenturen/ND-Meyer). Die Bundesregierung will dem drohenden Fachkräftemangel zu Leibe rücken. Ihr Konzept dafür stellte sie am Mittwoch in Berlin vor. Schwarz-Gelb will auf einen Mangel reagieren, der sich erst in den kommenden Jahren richtig bemerkbar machen wird. Bis 2025 wird eine Lücke von fünf bis sechs Millionen Arbeitskräften entstanden sein, schätzt der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise. Er plädiert dafür, dass Deutschland schon in den kommenden Jahren zwei Millionen qualifizierte Zuwanderer aufnimmt. Das jedoch sieht das Fachkräftekonzept der Bundesregierung nicht vor. »Die Nutzung und Förderung inländischer Potenziale hat Vorrang in der Fachkräftesicherungspolitik«, heißt es in dem Konzept. Gemeint damit sind insbesondere Frauen, Ältere und Jugendliche.
Die Bundesregierung verteidigt in dem Papier die Rente mit 67. Die Anhebung des Renteneintrittsalters sichere eine Million ältere Arbeitskräfte, eine weitere Million käme hinzu, wenn es gelänge, die Erwerbstätigenquote der über 55-Jährigen von heute 56 auf 70 Prozent anzuheben, heißt es im Konzept. Das »größte und am schnellsten zu aktivierende Fachkräftepotenzial im Inland« liege allerdings bei den Frauen. 6,3 Millionen Frauen im erwerbsfähigen Alter sind nicht berufstätig, 45 Prozent der berufstätigen Frauen arbeiten in Teilzeitjobs. Die Regierung will die Frauenerwerbstätigenquote auf 73 Prozent steigern. Durch eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Kindern könnten 1,2 Millionen häufig gut qualifizierte Frauen für den Arbeitsmarkt gewonnen werden.
Da das aber alles nicht ausreicht, soll verstärkt in Osteuropa um qualifizierte Arbeitskräfte geworben werden. Insbesondere viele Stellen für Ärzte und Ingenieure können derzeit nicht besetzt werden. Deshalb soll die Vorrangprüfung, mit der festgestellt wird, ob es deutsche oder EU-Bewerber für einen Job gibt, wegfallen. Aber Ausländer ist nicht gleich Ausländer. »Unqualifizierte brauchen wir nicht«, sagte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Nicht durchsetzen konnte sie sich offenbar mit ihrer Forderung, die Verdienstschwelle für eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis abzusenken. Derzeit müssen Ausländer brutto 66 000 Euro jährlich verdienen. Von der Leyen und auch Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) hatten eine Absenkung auf 40 000 Euro gefordert. Auch die Einwanderung nach bestimmten Kriterien, wie sie etwa in Kanada Praxis ist, kam wieder auf die Agenda. FDP und Wirtschaftsverbände machen sich dafür stark.
Gewerkschaften und Opposition kritisierten das Konzept. DGB-Vorsitzender Michael Sommer sagte: »Der Fachkräftemangel von heute ist hausgemacht und spiegelt die Versäumnisse der Vergangenheit wider«. Der Kabinettsbeschluss könne nicht mehr als ein erster Schritt sein, da er nur beschreibe, was ist und nicht, wo es hingeht.
Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sabine Zimmermann, sagte, die Regierung mache sich »zum Büttel der Wirtschaft«. Sie unternehme nichts gegen Niedriglöhne und belastende Arbeitsbedingungen. Nach Ansicht der Grünen muss die Anerkennung ausländischer Abschlüsse erleichtert werden. Der SPD-Bildungsexperte Ernst Dieter Rossmann kritisierte, hinter dem Konzept stehe keine nachhaltige Strategie, sondern es würden nur akute Lücken geschlossen. Aus- und Weiterbildung blieben die besten Instrumente im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Kommentar Seite 8
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.