Der SED-Journalist als solcher

Gutachterin knöpfte sich die Medien vor, nahm einiges vor der Enquetekommission aber zurück

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine Studie über die brandenburgische Medienlandschaft der Nachwendezeit hat in den vergangenen Tagen heftige Debatten ausgelöst. Gestern stellte die Autorin ihre Arbeit im Potsdamer Landtag vor und räumte Mängel ein.

Gemessen an der Aufregung im Vorfeld tagte die Enquetekommission zur Aufarbeitung der Nachwendejahre am Freitag in einer entspannten Atmosphäre. Dazu trug auch bei, dass die Gutachterin verschiedene Thesen ihrer umstrittenen Mediengstudie zurücknahm beziehungsweise relativierte.

Das Gutachten »Personelle und institutionelle Übergänge im Bereich der brandenburgischen Medienlandschaft« weise »große Lücken und Schwächen« auf, bekannte selbst die Autorin Ariane Mohl. Das führte sie auf den umfänglichen Gegenstand, aber auch auf mangelnde Kooperationsbereitschaft in den Redaktionen zurück.

Wenn sie in dem Gutachten mit »SED-Journalisten« ins Gericht gehe, so sei das »eine Zuspitzung und eine Formulierung, an der mein Herz nicht hängt«, fügte sie hinzu. Sie stellte auch klar, dass sie nicht die rückwirkende Entlassung aller zu DDR-Zeiten tätigen Journalisten fordere, keine individuelle Schuldzuweisung betreibe und niemandem das Recht und die Fähigkeit abspreche, sich weiterzuentwickeln. Bei diesem Personenkreis handle es sich ausdrücklich nicht um Menschen, die sie per se für dümmer oder unfähiger halte.

Einen Chefredakteur hatte Mohl zitiert: »Wir wollten einen freiheitlich demokratischen Staat aufbauen und sollten das ausgerechnet mit der alten Garde beziehungsweise den zentralen Informationsträgern von damals tun?« Den Chefredakteur ließ Mohl darüber nachdenken, man hätte die SED-Bezirkszeitungen einstellen und neue Lizenzen vergeben müssen. »So haben es die Alliierten nach 1945 auch getan. Der Nationalsozialismus war zu Recht verfemt und geächtet. Das man die SED-Diktatur nicht auch geächtet hat, war aus meiner Sicht ein grundlegender Fehler. Es war 1989 problemlos möglich, auch öffentlich zu sagen, dass der Sozialismus eine gute Idee gewesen ist, die man nur schlecht umgesetzt hat.« Aber möglicherweise kann man das ja auch heute noch sagen. Dass die Wende in der DDR mit dem Ruf nach einem demokratischen Sozialismus begann, hat jedoch in diesem Denkschema keinen Platz.

Nach dem Einlenken Mohls blieb die Frage, warum sie das alles geschrieben oder zumindest indirekt an die Wand gemalt hat. Der SPD-Landtagsabgeordnete Klaus Ness sah in der Arbeit weniger eine wissenschaftliche Leistung als die Wiedergabe einer Meinung. Er brachte grundlegend seine Bedenken dagegen vor, dass die Politik Zensuren an die Medien verteilt. Damit würden eher Blockaden ausgelöst, die einen offenen Austausch verhindern.

Auch die FDP-Abgeordnete Linda Teuteberg machte darauf aufmerksam, dass sich Handlungsempfehlungen auf diesem Feld verbieten würden.

Der CDU-Abgeordnete Dieter Dombrowski bezeichnete die Studie als »erfrischenden und wertvollen Beitrag zur Information«. Auch Grünen-Fraktionschef Axel Vogel nannte sie »gelungen«. Der Sachverständige Helmut Müller-Enbergs bezeichnete die Arbeit wegen ihrer bereits zuvor in den Medien ausgelösten Debatte als »Dammbruch« für die Arbeit der Enquetekommission. »Sie macht uns öffentlich und erlaubt uns eine öffentliche Diskussion.«

Auch Professor Klaus Schroeder vom Forschungsverbund »SED-Staat« war gestern nicht ganz so streitlustig wie sonst und schloss in der letzten Kommissionssitzung vor der Sommerpause versöhnlich: Man dürfe nicht jemandem für alle Zeiten die journalistische Arbeit verbieten, weil er als junger Mensch einmal IM gewesen sei oder beim Wachregiment gedient habe. »Sie können doch nicht alle Abgeordnete werden.«

Linksfraktionschefin Kerstin Kaiser setzte hinter die Vorstellung Mohls von der »Stunde Null« im Jahr 1990 ein »dickes Fragezeichen«.

Für Professor Jochen Franzke ist der gerügte Abstand zwischen erlebter journalistischer Hofberichterstattung und den Anforderungen eines kritischen Journalismus ein Problem, was sich keineswegs auf Ostdeutschland beschränke. Die von Mohl erwartete »staatliche Kontrolle« sei dennoch keine gute Idee. Er habe aus dem Gutachten die Forderung nach einem Berufsverbot für DDR-Journalisten herausgelesen. Doch sei nachweisbar, dass die Leser den von genau diesen DDR-Journalisten erarbeiteten Zeitungen die Treue hielten. Nahezu alle alternativen Tagezeitungen sind über kurz oder lang eingegangen. »Die Leser haben abgestimmt.«


»Weder im Land Brandenburg noch in den anderen ostdeutschen Bundesländern hat es nach dem Zusammenbruch der DDR eine publizistische ›Stunde Null‹ gegeben. Kein Journalist musste berufliche Nachteile befürchten, weil er in der SED gewesen war und in seinen Artikeln jahrelang brav die Linie der Partei vertreten hat.«
Aus dem Gutachten
Auch »Märkische Allgemeine« und »Märkische Oderzeitung« sind ehemalige SED-Blätter.
Auch »Märkische Allgemeine« und »Märkische Oderzeitung« sind ehemalige SED-Blätter.


»Der Vorwurf ist – mit Verlaub – blanker Unsinn. Am 3. Oktober 1990 hat es weder eine bedingungslose Kapitulation gegeben noch standen die DDR und die Bundesrepublik Deutschland unter Kuratel der Siegermächte.«
Klaus Rost, Chefredakteur der »Märkischen Allgemeinen«


»Eine publizistische Stunde Null kann es in keiner Situation geben; es wird immer mit Strukturen und mit Menschen gearbeitet, die ihre Erfahrungen mitbringen.«
Ulrike Kaiser, Vizevorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes


»Leider aber schimmert immer und überall die Auffassung der Gutachterin durch, am besten hätte man die ganze ehemalige DDR leergezogen und unbelastete Menschen hier ein Paradies aufbauen lassen ... Einmal SED-Zeitung, immer SED-Zeitung – das ist ganz kleines Karo.«
Peter Philipps, stellvertretender Chefredakteur der »Märkischen Oderzeitung«

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