Konstitutionelle Kosmetik
Kommentar von Mattes Dellbrück
Man möge sich die Reaktionen vorstellen, wäre dieses Abstimmungsergebnis aus, sagen wir, Belorussland vermeldet worden. 98,49 Prozent der Wähler votierten jetzt in Marokko angeblich für eine Verfassungsreform, die zwar die Befugnisse von Ministerpräsident, Parlament und Justiz etwas erweitert, König Mohammed VI. aber weiterhin die zentrale Rolle im politischen System des Landes einräumt. Er bleibt Oberbefehlshaber der Armee, kann das Parlament auflösen und hat das letzte Wort in rechtlichen wie religiösen Fragen. Er allein bleibt zuständig für die innere und äußere Sicherheit. Doch der Westen ist nach dem Referendum voll des Lobes, von Hillary Clinton bis Guido Westerwelle. Hofft man doch, dass es der Monarchie auf diesem Wege gelinge, ein massiveres Übergreifen der prodemokratischen Protestwelle in der arabischen Welt auf Marokko und damit einen weiteren Brandherd zu verhindern.
So kam die lauteste Kritik aus dem Lande selbst, obgleich dort versucht wurde, unliebsame Diskussionen zu unterbinden. Die Demokratiebewegung »20. Februar« hat die Volksabstimmung, die sie maßgeblich mit erzwungen hat, boykottiert, weil die zugebilligte Abtretung königlicher Machtbefugnisse lediglich konstitutionelle Kosmetik sei. Fraglos agiert der Monarch moderater als so mancher Despot in der Region, die Menschenrechts- wie die soziale Lage sind andernorts durchaus schlimmer. Und nach wie vor ist Mohammed VI. für viele das Symbol des Glaubens und des Staates – selbst wenn er mit der neuen Verfassung nicht mehr als »heilig« gilt. »Unantastbar« aber bleibt er. Wirkliche Reformen sehen anders aus. In Marokko herrscht letztlich weiter der Absolutismus.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.