Vorhersagen sind fast unmöglich
München, Pyeongchang, Annecy – heute wird der Gastgeber der Winterspiele 2018 bestimmt
Es soll gefeiert werden: Wenn der Belgier Jacques Rogge, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, heute wenige Minuten nach 17 Uhr verkündet, wo nach dem Willen der IOC-Mitglieder die Olympischen Winterspiele 2018 stattfinden werden, soll in deutschen Olympia-Fanmeilen Jubel ausbrechen. In München gibt's Public Viewing am Marienplatz, in Garmisch-Partenkirchen am Mohrenplatz und in Königssee an der Seelände. Doch auch im südkoreanischen Pyeongchang ist man auf öffentliches Jubeln zu später Stunde vorbereitet, ja selbst der dritte Bewerber Annecy in Frankreich glaubt noch an seine Außenseiterchance und richtet eine Feier aus.
Die Wahl einer Olympiastadt ist ein schwer vorhersehbares Prozedere. Allein die Frage, wie viele der insgesamt 110 IOC-Mitglieder in Durban ihre Stimme abgeben werden, wird erst heute Mittag abschließend geklärt sein: Als sicher gilt immerhin, dass es bei der 123. Session maximal 96 sein werden. Fest steht ebenfalls der Wahlmodus (siehe rechts). Fest steht auch der Bericht der Evaluierungskomission des IOC, die die Stärken und Schwächen der Bewerber nach 16 Kriterien klar und deutlich aufzeigt.
Doch weil sich kein IOC-Mitglied nach dem Urteil der Evaluierungskomission richten muss (2014 gewann mit Sotschi der am schlechtesten benotete Bewerber), kann der Bericht nur wenig Aufschluss über das Stimmverhalten der IOC-Granden geben. Außer vielleicht dies: Annecy hat mit seinem Konzept die geringsten Chancen, am Ende zu jubeln – zu lange Wege, gleich vier olympische Dörfer, kompliziertes Transportsystem. Dem Präsidenten Nicolas Sarkozy wurde jedenfalls davon abgeraten, nach Annecy anzureisen: Zu sicher sei die Niederlage.
In der deutschen Delegation hingegen wird über die Maßen frohlockt, spätestens seit auch die letzte bayerische Geheimwaffe ins Rennen geschickt wird: Franz Beckenbauer soll Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Katarina Witt, DOSB-Chef Thomas Bach und Bundespräsident Christian Wulff in Durban zur Seite stehen. »Wir freuen uns sehr über seine Unterstützung«, sagte Katarina Witt über Beckenbauer. In der deutschen Delegation umgibt ihn der Nimbus des ewigen Siegers, spätestens seitdem er die WM 2006 nach Deutschland holte. Ob seine Strahlkraft für das IOC reicht?
Viel wichtiger sind sicherlich die Flur- und Kamingespräche, die Lobbyisten der drei Städte nun auch in Durban noch führen. Im Gegensatz zu Sommerspielen, für die sich alle Welt interessiert, sind die Winterspiele eine sportpolitische Verhandlungsmasse. Fast 40 IOC-Mitglieder kommen aus Regionen, in denen dem Wintersport schon aus rein geografischen Gründen kaum eine Rolle zukommt. Wen sie wählen, ist schwer vorherzusagen. Allerdings vergeben sie ihre Stimmen ganz sicher nicht beliebig. Hier ist das Feld für Hinterzimmer-Diplomatie bereitet.
Außerdem, so betonen es die PR-Experten, spielt auch das »Momentum« am Tag der Wahl eine Rolle, so wie bei der Wahl der Olympiastadt 2014, als Staatspräsident Putin ganz unverhohlen PR für Sotschi machte und dazu im Sommer 2007 gleich einen ganzen Eispalast zur Abstimmung nach Guatemala fliegen ließ, während in Sotschi noch nicht eine Wettkampfstätte erbaut war. Bei dieser Aktion konnten selbst die finanzstarken Koreaner nicht wirklich mithalten. Salzburg mit seiner hochgelobten Bewerbung war schon in der ersten Runde chancenlos ausgeschieden.
Den Südkoreanern macht die plötzliche Ankunft von Franz Beckenbauer in Durban jedenfalls keine Bange. Bewerbungschef Cho Yang-ho zeigte sich auf einer Pressekonferenz weiter siegessicher: »Wir brauchen keine Überraschung, um die Sache herumzureißen.« Zum dritten Mal bewirbt sich die 45 000 Einwohner zählende Kreisstadt um die Spiele. Die Koreaner locken mit dem Erschließen eines vollkommen neuen Marktes für den Wintersport, außerdem ist der Samsung-Konzern seit Jahren ein treuer Hauptsponsor des IOC, Samsung-Chef Lee Kun-hee ist gleich selbst IOC-Mitglied.
Chronologie
Februar 1988: Am Rande der Winterspiele 1988 in Calgary entwickeln Werner Göhner (Geschäftsführer Olympiapark München), Wilfrid Spronk (später Gründungsgeschäftsführer der Bewerbungsgesellschaft), Willi Daume (damaliger NOK-Präsident und IOC-Mitglied) und andere die Idee einer Bewerbung Münchens um Winterspiele.
5. Juli 2007: Nach der Wahl Sotschis als Austragungsort für 2014 unternimmt der Münchner OB Christian Ude einen Vorstoß für die Bewerbung um Winter-Olympia 2018.
8. Dezember 2007: Der DOSB befürwortet eine Bewerbung einstimmig.
5. Juli 2008: Gründung der Bewerbungsgesellschaft.
18. Juni 2009: BMW wird der erste namhafte Großsponsor.
9. Juli 2009: Vorstellung des Kuratoriums. Vorsitzende wird Olympiasiegerin Katarina Witt.
7. Oktober 2009: München bewirbt sich offiziell beim IOC.
8. Oktober 2009: Die Stadt München gewährt der in finanzielle Nöte geratenen Bewerbungsgesellschaft ein Darlehen über 2,7 Millionen Euro.
22. Juni 2010: München wird vom IOC als Kandidat nominiert.
6. Oktober 2010: Nach Querelen mit Grundbesitzern und Vereinen in Garmisch-Partenkirchen verabschiedet der Rat der Marktgemeinde das Eckdatenpapier mit großer Mehrheit.
11. Januar 2011: Abgabe des Bewerbungsbuchs beim IOC.
8. Mai 2011: Bürgerentscheid in Garmisch: Die Olympia-Befürworter erzielen eine Mehrheit, die Gegner scheitern.
7. Juni 2011: Der Branchendienst »Around The Rings« setzt München in seiner abschließenden Rangliste auf Rang eins vor Pyeongchang.
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