Rätselraten über die vielen Stürze
98. Tour de France: Massensturz auf der 9. Etappe / Tagesieg an Luis-Leon Sanchez
Die Stürze bei der Tour de France nehmen kein Ende. Bei der schon vom Profil her sehr anspruchsvollen gestrigen neunten Etappe durch das Zentralmassiv machte ein Massensturz die Ambitionen von Alexander Winokurow (Kasachstan) und Jurgen Van Den Broeck (Belgien) zunichte.
Weil auch drei der vier Radioshack-Co-Kapitäne sowie der Brite Wiggins (Sky), der Spanier Sanchez (Euskatel) und der Holländer Gesink durch Stürze ausfielen beziehungsweise viel Zeit verloren, hat sich das bei Tourstart mehr als ein Dutzend Fahrer umfassende Feld der Podiumskandidaten jetzt auf eine Handvoll reduziert.
Den unglaublichsten Unfall verursachte jedoch ein Fahrzeug des französischen Fernsehens, das zwei Fahrer einer fünfköpfigen Spitzengruppe, den Spanier Antonio Flecha (Sky) und den Niederländer Johnny Hoogerland (Vacansoleilo), umfuhr. Sie kamen mit dem Schrecken davon und konnten die Fahrt fortsetzen.
Bevor es nach dem heutigen Ruhetag in die Pyrenäen geht, ist aus der Tour de France ein Wettbewerb des Versehrtensports geworden. Alexander Winokurow konnte nicht einmal mehr laufen. Zwei Astana-Leute griffen ihm unter die Arme und schleppten den Kasachen aus einem Gebüsch am Straßengraben nach oben. Das rechte Bein war verdreht. Aus!
Zum gleichen Zeitpunkt saß Jurgen Van Den Broeck auf dem Asphalt. Er hielt sich den Kopf, an dem eine Wunde zu sehen war. Auch der Belgier, der sich bisher aus Stürzen und Problemen aller Art heraushalten konnte und als ernsthafter Kandidat für das Podium in Paris galt, stieg in eine Ambulanz. Die erste Diagnose: Kopfverletzung und Schulterblattbruch.
In den Massensturz, der sich in der Abfahrt zwischen zwei Bergwertungen der zweiten Kategorie bei Kilometer 102 ereignet hatte, war auch Andreas Klöden verwickelt. Er konnte das Rennen aber fortsetzen. Zwei weitere Fahrer, der Belgier Willems (Omega) und der Amerikaner Zabriskie (Garmin), mussten an dieser Stelle wegen Verletzungen aussteigen. Somit erhöhten sich die Zahl der allein durch Sturzverletzungen ausgeschiedenen Fahrer auf elf.
Schockiert verlangsamte das Peloton. Der Schweizer Fabian Cancellara, der schon bei einem Sturzfestival während der letzten Tour de France eine Bummeletappe organisiert hatte, diskutierte mit dem Träger des Gelben Trikots, dem Norweger Thor Hushovd, und einem Vertreter der Jury. Am Ende setzten sich die Interessen des Norwegers durch. Der musste fürchten, dass ihm der Franzose Thomas Voeckler als bestplatzierter Teilnehmer einer fünfköpfigen Ausreißergruppe das gelbe Leibchen abnehmen würde.
Den Tagessieg auf dem 208 km langen Abschnitt von Issoire nach Saint-Flour holte sich der Spanier Luis-Leon Sanchez vom Rabobank-Team vor dem Franzosen Thomas Voeckler, der damit Thor Hushovd das Gelbe Trikot abnahm. Dritter wurde der Franzose Sandy Casar.
Mit dem Schrecken davon kam Alberto Contador. Der Spanier stürzte am Sonntag bei km 85 und musste zunächst allein die Verfolgung aufnehmen. Erst spät gesellten sich zwei Teamkameraden zu ihm. Diese Desorganisation spricht nicht für sein Team Saxo Bank.
Am Vortag konnte Contador nicht wie geplant auf der Steigung nach Super-Besse brillieren. Seine Attacken parierte mühelos der Luxemburger Andy Schleck. Besser in Szene setzte sich da noch Alexander Winokurow. 25 km vor dem Ziel startete er einen Angriff und jagte immer näher an die Ausreißer heran. Doch der Portugiese Rui Costa, ein imposanter Kletterer mit Zeitfahrqualitäten, hielt dem Angriff stand. Der Kasache wurde sogar noch vom Feld eingeholt. »Ich wollte den Etappensieg und Gelb«, erklärte er später. Inzwischen hat er andere Prioritäten: Er muss seinen Oberschenkelbruch ausheilen.
Und bei der Tour geht das Rätselraten über die Vielzahl der Stürze weiter.
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