Eingereist und abgefertigt

»Der russische Pass« im Acud-Theater

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Was ist der Pass eines Landes in einem anderen Land schon wert? Hier geht es um russische Frauen, die sich eine gute Zukunft in Deutschland erhoffen. Viele Kompromisse wollen und sollen sie machen, damit sie bei dem Mann bleiben können, der sie hierher einlud. Kann er sich überhaupt daran erinnern, so viel versprochen zu haben? Wird er sie heiraten oder kalt abfertigen? Und welche Bedingungen sind damit verbunden? Das geht zumeist übel aus.

Geschichten dieser Art stellt die Regisseurin mit dem Künstlernamen El Earthbourne als Abschlussarbeit an der Theaterakademie Berlin mit ihrem Stück »Der russische Pass« im Acud-Theater vor. Selbst strebt sie nicht nach Kompromissen, ist erkennbar bei ihrem Stück, das sie mit der Unterzeile »Zwischen den Welten: Phantasmagorie über die Liebe« versah. Sie will alles und geht dabei einen Moment sogar zu weit.

An guten Ideen mangelt es ihr nicht. Sie lässt die Frauen einreisen. Sobald sie die Grenze passiert haben, sind sie alle gleich – Emigrantinnen. Mit der gewohnten Kleidung streifen sie ihre bisherige Identität ab. Gut gemacht. Alle tragen nun körperfarbene Trikots (Kostüme: Julia Subbotina). Vor der Brust ist eine durchsichtige Tasche angebracht, in der der russische Pass steckt. Während eine ihre jeweilige Situation mit dem Mann, der ihr Liebe versprach, durchlebt, suggerieren die anderen – für die Handelnden unsichtbar – Meinungen, beeinflussen Handlungen. So ist immer viel und gut gemachte Bewegung auf der Spielfläche. Dazu gibt es auf der Bühne und im Zuschauerraum Käfige, in denen Menschen sitzen. Sie sprechen Monologe und kommentieren die jeweiligen Situationen. Das beispielsweise spiegelt wider, was die Regisseurin unter vielschichtiger Komposition versteht. Und es geht auf. Dass sie zugleich alle Spielarten der Theaterkunst bedienen will, ist zu hoch gegriffen. Aber Drama, Dokumentarspiel und Groteske klingen an. Weit schweifende Monologe über Kosmos, Planeten, UFOs und das Lebewesen Mensch bereichern das Stück nicht unbedingt.

Die Schauspieler sind engagiert bei der Sache. Es spielen und sprechen in Käfigen Timm Peltner (alle Männerrollen auf der Bühne), Corinne Prochaska, Julia Romanova, Elena Marchenko, Natalia Strassburg, Kristin Chekalina, Xenia Sephzik, Alexandra Schneidermeier, Elena Khripunova, Vladimir Karpov. Sabina Vildanova und Eduard Anselm verkörpern zwei Außerirdische, die bedeuten sollen, dass nun der gesamte Kosmos ohne Grenzen ist. Da wird es richtig komisch.

Eine der Geschichten beschreibt, wie eine nach Deutschland gekommene Russin sich politisch gegen Ausländer wendet. Da steht sie mit ihrem Transparent »????????? ???!« auf der Straße. »Ausländer raus!«. Zugleich beharrt sie aber zu Hause auf russischen Traditionen. Dieser Widerspruch ist humorvoll erdacht und dargestellt.

Unangenehm wird es indes, wie sie sich auf der Straße in Nazi-Parolen steigert. Das ist geschmacklos. Hier und bei der Auseinandersetzung der Frau mit ihrem Mann, den sie nach Polen verweist, weil sie seine Altvorderen als Einwanderer entlarvt, überschreitet El Earthbourne eine Grenze, die sie akzeptieren sollte.

Das Stück wird in Deutsch und teilweise in Russisch gesprochen. Übersetzungen der russischen Textpassagen liegen im Theater aus.

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