Die Wirtschaft entdeckt Afrika wieder
Bundeskanzlerin Angela Merkel bereist den Kontinent gemeinsam mit einem Unternehmertross
Früher waren es Entwicklungsgelder oder zumindest die Aussicht darauf, die europäische Politiker bei Reisen nach Afrika gerne im Gepäck hatten. Seit Montagmittag ist auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in Afrika unterwegs. Für ihre Reise nach Kenia, Angola und Nigeria hat sie allerdings weniger Geldgeschenke eingepackt. Stattdessen hat sie einen Tross von Wirtschaftsvertretern im Schlepp. Entwicklungshilfekontinent Afrika – das war einmal. Jetzt soll investiert werden.
Dafür scheinen sich einige der i 54 Staaten des Kontinents besonders anzubieten. Hoch im Kurs könnte Nigeria stehen, wo die Bundeskanzlerin am Donnerstag gemeinsam mit dem nigerianischen Präsidenten Goodluck Jonathan von der Demokratischen Volkspartei (PDP) ein zweitägiges deutsch-nigerianisches Wirtschaftsforum eröffnet. Mit geschätzten 150 Millionen Einwohnern ist Nigeria das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Bei den Vereinten Nationen schätzt man, dass die Einwohnerzahl in den kommenden 90 Jahren auf 720 Millionen ansteigen könnte. Für den ganzen Kontinent sagen Experten bis zum Jahr 2150 rund 2,3 Milliarden Bewohner voraus, was – betrachtet man die Bewohner nur als zahlende »Konsumenten« – Afrika zu einem höchst interessanten Exportmarkt machen könnte.
Nach dem Einbruch im Zuge der Weltfinanzkrise im Jahr 2009 scheint sich nun auch wieder das Wirtschaftswachstum zu entwickeln. Vergangenes Jahr lag die Steigerungsrate bei 4,8 Prozent. Mancherorts waren die Zahlen weitaus höher, etwa im Diamantenstaat Botswana mit 8,6 Prozent und in Nigeria mit 7,85 Prozent. Damit ist der Kontinent nach Einschätzung der African Development Bank Group die am drittschnellsten wachsende Region der Erde. Was man in China übrigens schon vor Jahren entdeckt hat. Seitdem liefert die Volksrepublik immer mehr Produkte »Made in China«, baut wie ein Weltmeister und bemüht sich um die Rohstoffe, die Afrika zu bieten hat.
Afrika scheint deshalb nun auch wieder ins Blickfeld europäischer Unternehmer zu rücken. Doch trotz vielversprechender Zahlen auf dem Papier ist der Zugang zum Markt häufig mit Schwierigkeiten verbunden. In Nigeria etwa fehlt es an Fachkräften, die Infrastruktur ist marode und die Stromversorgung mangelhaft. In der Wirtschaftsmetropole Lagos, dem wichtigsten nigerianischen Unternehmensstandort, fällt der Strom fast täglich aus, manchmal kommt er nach Stunden, manchmal aber auch erst nach Tagen zurück. »Als Produktionsstätte ist das Land deshalb schwierig«, gesteht André Rönne, Delegierter der deutschen Wirtschaft in Nigeria. Nicht zu unterschätzen seien auch die bürokratischen Hürden, sagt Patrick Reuter, Westafrika-Experte im Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft. »Sie sind häufig ein Hauptproblem für ein erfolgreiches Geschäft. Man muss sicher mehr Zeit dafür planen als etwa in Europa.« Wichtig sei es deshalb, von Anfang an mit vertrauenswürdigen und starken einheimischen Partnern zusammenzuarbeiten. Die könnten Unternehmer aus Europa insbesondere auf einen Aspekt vorbereiten: Die Mentalität ist eine ganz andere. »Nur wer bereit ist, sich den lokalen Gegebenheiten anzupassen, wird langfristig erfolgreich sein«, warnt Reuter.
Hartnäckig geht einigen Ländern ein schlechter Ruf voraus. Das hat auch Unternehmerin Ibukun Awosika als Lagos gespürt, als sie vor einigen Jahren für die Produktion von Büromöbeln nach einem Geschäftspartner in Europa suchte. Als die Chefin des Sokoa Chair Centres ihren späteren Partner aus Frankreich zum ersten Mal nach Nigeria einlud, wollte der keine 24 Stunden bleiben. »Er dachte, es sei viel zu gefährlich hier«, erinnert sich Ibukun Awosika, die vielfach mit Unternehmerpreisen ausgezeichnet worden ist.
Ähnliche Besorgnisse erregt bei vielen die Korruption, die sich durch weite Teile der Gesellschaft zieht. Während etwa Botswana schon in der Vergangenheit vehement auf Korruptionsbekämpfung setzte, stecken entsprechende Bemühungen in Nigeria noch in den Kinderschuhen. Ein ermutigendes Signal geht derzeit von den staatlichen Korruptionsbekämpfern – der Economic and Financial Crimes Commission (EFCC) – aus. In den vergangenen Wochen haben sie Ermittlungen gegen führende Politiker und mehrere Bankenbosse angestoßen. Das macht letztendlich vor allem eines deutlich: Afrika ist auch selbst in der Verantwortung, Politiker müssen Standards schaffen und einhalten, um ihre Länder attraktiv zu machen.
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