Breivik baut auf Schläfer für seinen Kreuzzug
Attentäter will Templer gegen Marxisten und Muslime auferstehen lassen / Auch Linkspartei ist Anschlagsziel
Die Spitzen der deutschen Politik haben ihre Bestürzung über den Anschlag in Norwegen deutlich gemacht. Auch die Spitzen der Linkspartei taten es, ihr Mitgefühl wurde allerdings in den Medien seltener registriert. Dabei gäbe es gute Gründe, der LINKEN nach dem Massenmord ein wenig mehr Aufmerksamkeit einzuräumen. Die Partei ist in einer Botschaft des Attentäters nicht nur als Anschlagsziel erwähnt, sie dürfte sich auch angesprochen fühlen, wenn Massenmörder Anders Behring Breivik einen »kulturellen Marxismus« angreift, der erst die Voraussetzungen geschaffen habe für die Islamisierung Europas.
Breivik wollte, so scheint es, mit seiner schrecklichen Tat vor allem Aufmerksamkeit für seine lange vorbereitete Botschaft wecken und zur Nachahmung animieren. Diese Botschaft findet sich in jenem »Manifest«, dessen mutmaßlicher Verfasser er ist, auch wenn das am Montag noch nicht bewiesen schien. Seine Ziele benennt er darin unter der Überschrift »Kulturelle Marxisten, selbstmörderische Humanisten, kapitalistische Globalisierer«. Die Linkspartei kommt darin als Anschlagsziel vor, allerdings auch alle anderen Bundestagsparteien. In Deutschland, so begründet der Autor, offenbar bedauernd, gebe es keine signifikante Partei mit kulturkonservativer und antiislamischer Ausrichtung.
Der Täter gibt vor, als Teil einer kleinen internationalen Gruppe zu handeln, die sich als geistige Erben der Tempelritter versteht und einen Kreuzzug gegen die Islamisierung Europas im Sinn hat. Breivik hätte demnach in diesem Sinne mit seiner Tat den ersten Schlag geführt. In seinem »Manifest« ist die Rede von insgesamt 45 000 Toten als Blutzoll, mit dem er – oder die Gruppe, wenn es sie gibt – europaweit rechnet. 100 000 Verletzte werden einkalkuliert. Im »Manifest« heißt es: »Wenn du zum Schlag entschlossen bist, ist es besser, zu viele als zu wenige zu töten, weil du sonst den gewünschten ideologischen Erfolg deines Schlags verringerst.«
Der Täter ist kein Verwirrter, so viel dürfte sicher sein, auch wenn seine psychische Beschaffenheit die Tat befördert haben muss. In unauffälliger, aber zielstrebiger Weise bereitete er nach eigener Auskunft über ein Jahrzehnt lang seine Tat vor, verzichtete auf die Gründung einer Familie, studierte fünf Jahre, um sich eine finanzielle Basis zu schaffen, vergrößerte in Geldgeschäften sein Kapital. »Spiegel online« zufolge schrieb er die letzten drei Jahre »Vollzeit« an seinem Machwerk. Es habe ihn rund 317 000 Euro gekostet.
Aus einem bei Youtube eingestellten Video, das er als 12-minütige Zusammenfassung seines ideologischen Kompendiums fertigte, wird deutlich, dass zu den Feindbildern des Täters auch das »Nazi-Monster« steht – die scheinbar krude Mischung erhält auf den zweiten Blick eine beklemmende Parallele in Debatten, die hier in Deutschland zu verfolgen sind. Die angebliche Gefahr der Islamisierung wird auch hier immer wieder ohne Zögern in einem Atemzug genannt mit dem Vorwurf des Faschismus, dem des Antisemitismus und sowieso dem einer sozialistischen Orientierung. So ist es zwar erstaunlich, inhaltlich aber passend, dass in dem »Manifest« der deutsche Kolumnist Henryk M. Broder erwähnt wird, wie die »Berliner Morgenpost« schreibt, die Broder zu ihren Autoren zählt. Dieser führt seit Jahren einen polemischen Kampf gegen genau dieselben Gegner und wird damit von den Medien regelrecht hofiert.
Deshalb ist die erste Reaktion des SPD-Politikers Sebastian Edathy zu begrüßen, der von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ein stärkeres Vorgehen gegen rechtsextreme Islamkritik im Internet forderte. »Der Bundesinnenminister wäre gut beraten, wenn er gegen extremistische Islamkritik im Internet vorgeht«, sagte Edathy dem »Kölner Stadt-Anzeiger«. Edathy verwies auf rechtsextreme, anonym betriebene Seiten wie »Nürnberg 2.0«. Doch damit ist der Rechtspopulismus noch nicht erfasst, vor dem nach den Ereignissen in Norwegen Sahra Wagenknecht, Vizevorsitzende der LINKEN, warnt. Breiviks Pamphlet sei Ausdruck von Vorurteilen, die auch in der deutschen Öffentlichkeit längst einen festen Platz hätten.
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