Wer nicht hören will, zahlt
Fachärzte fordern Reihenuntersuchung ab 50. Lebensjahr
14 Millionen Bundesbürger können ihren Ohren nicht mehr trauen. Isolation und Ausgrenzung sowie die Entstehung weiterer Krankheiten sind die Folgen ihrer Schwerhörigkeit. Daher wollen sich Fachärzte und Kassenärztliche Bundesvereinigung beim Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA), der über die Erstattungsfähigkeit medizinischer Leistungen und Mittel entscheidet, für ein präventives Screening einsetzen.
15 Prozent der 85- bis 89-Jährigen sind wegen ihrer Hörschäden in Behandlung. Doch die tatsächliche Verbreitung dieser Beschwerden wird auf das Vierfache geschätzt. Gäben die Kassen pro Früherkennung 21,55 Euro pro Fall aus, würde sie das im Jahr etwa 114 Millionen Euro kosten. Durch verhinderte Folgeerkrankungen könnten aber 177 Millionen Euro eingespart werden und weitere 233 Millionen Euro an gesamtwirtschaftlichen Kosten entfielen etwa durch die Vermeidung von Krankschreibungen.
Hörschäden früh bekämpfen
Dirk Heinrich, Präsident des Berufsverbandes der HNO-Ärzte, bezeichnet das Gehör als wichtigstes Sinnesorgan. Ohne Ohr könne das Sprechen nicht gelernt werden, und die Teilhabe am sozialen Leben sei schwer möglich. Der Zusammenhang zeigt sich spätestens dort, wo Gespräche nicht mehr verstanden werden oder es gar zu Unfällen kommt. Fachärzte weisen darauf hin, dass auch Depressionen und Demenz zu den Folgekrankheiten gerechnet werden müssen: Unbehandelte Hörschäden verstärken den sozialen Rückzug. Wer weniger spricht, weil er schlechter hört, bei dem wird auch das nachlassende Gedächtnis nicht bemerkt. Das Gehirn erhält weniger Reize, baut seine Kapazitäten schneller ab. Zu spät behandelt heißt für die Ohren häufig: nicht mehr behandelbar. Denn die Elastizität der Hörbahnen verschwindet im Alter, die Umstellung auf ein Gerät gelingt jenseits der 85 nicht mehr. Früher galt die sogenannte Altersschwerhörigkeit als normal. Wenn aber Hörschäden, wie sich Wissenschaftler zunehmend einig sind, die »Gesamtlärmbilanz des Lebens« darstellen, so sei es vermutlich sinnvoll, eher im Leben mit ihrer Bekämpfung zu beginnen. Lärmendes Spielzeug, Kopfhörer auf oder in vielen Ohren, Dauerbeschallung durch Verkehrsgeräusche und Musik – dies alles nehmen Konsumenten hin oder wünschen es sogar. Im Interesse der Hörgesundheit sollte allerdings vieles davon kritisch hinterfragt werden. Zum einen gebe es strenge Regeln für den Arbeitsschutz, in der Freizeit sei die Lärmbelastung aber häufig um ein vielfaches höher, bedauert Dirk Heinrich.
Prävention könnte helfen
Die verbreiteten MP-3-Player können 110 Dezibel (dB) erzeugen. In der Arbeitswelt würde nach Regelungen von 2007 bereits ab 80 dB ein Gehörschutz empfohlen, ab 85 dB sei er Pflicht. Für Konsumgüter gibt es aber kaum Regeln, Hersteller scheinen nicht interessiert, die Kundenohren zu schützen. Auch hier fehlt ein umfassendes Präventionsgesetz, das bisher noch jede Bundesregierung verweigerte.
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