Protest gegen Lex Neckermann

Hessens Regierung will mehr Sonntagsarbeit

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Hessens CDU/FDP-Regierung will offenbar eine weitere Einschränkung des Arbeitsverbotes an Sonn- und Feiertagen ohne öffentliche Anhörung durchdrücken. Dagegen formiert sich Widerstand.

Die von Gewerkschaften und Kirchen in Hessen 2010 gebildete »Allianz für den freien Sonntag« schlägt Krach. Auslöser sind Bestrebungen der CDU/FDP-Landesregierung, Sonntagsarbeit in immer mehr Branchen zur Regel zu machen. Unterstützung findet die Allianz bei der LINKEN, die in einer Pressekonferenz am Montag den Schulterschluss mit Allianz-Mitbegründer und ver.di-Landeschef Jürgen Bothner übte.

Bothner und der LINKEN-Abgeordnete Hermann Schaus kritisierten die geplante Novelle des hessischen Ladenöffnungsgesetzes und den von der Landesregierung vorgesehenen Erlass einer Bedarfsgewerbeordnung. Sie bemängelten dabei, dass die Regierung Bouffier noch während der laufenden parlamentarischen Beratungen über das Ladenöffnungsgesetz mit dem Erlass »durch die Hintertür« vollendete Tatsachen schaffen wolle.

Zerstückelte Arbeitszeiten

So soll das im Arbeitszeitgesetz festgehaltene Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen in Videotheken und Bibliotheken aufgehoben werden, desgleichen in Brauereien und Betrieben zur Herstellung von Schaumwein, alkoholfreien Getränken und Speiseeis, im Immobilien- und Buchmachergewerbe, in Versandhandel, Call-Centern und in Dienstleistungsfirmen.

Die Neufassung des hessischen Ladenöffnungsgesetzes wolle die Koalition in einem Sammelpaket mit 18 weiteren Gesetzen »ohne jegliche Debatte durchziehen«, so Schaus. Damit wolle die Regierung Bouffier offenbar eine »Lex Neckermann« oder »Lex Amazon« schaffen, argwöhnt der Parlamentarier in Anspielung auf große, in Hessen angesiedelte Logistikkonzerne.

Für Bothner, der das Engagement der Linksfraktion im Umfeld der überparteilichen Allianz ausdrücklich begrüßte, verstößt die christlich-liberale Koalition damit gegen die Verfassung, die die Sonntagsruhe schütze. »Bierbrauen am Sonntag befriedigt nicht die Interessen der Verbraucher, sondern allein die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen«, so der Gewerkschafter. Schließlich müsse frisch gebrautes Bier vor dem Verkauf mehrere Wochen lagern. Ein gesellschaftlicher Nutzen sei hier ebenso wenig erkennbar wie ein Nachteil für die Allgemeinheit beim Verzicht auf die Bestimmung. »Die Regierung unterstellt einen Bedarf, den sie nicht nachweisen kann«, so Bothner. »Zur Sonntagsarbeit an Abfüllanlagen besteht keine Notwendigkeit«, bestätigte auch der Frankfurter Coca Cola-Betriebsrat Erkan Imdat auf ND-Anfrage.

Die im bisherigen Landesgesetz vorgesehene Ladenöffnung an Werktagen bis 24 Uhr habe weder den Umsatz erhöht noch neue Arbeitsplätze geschaffen, dafür aber die Arbeitszeiten vieler Frauen zerstückelt, so Bothner. Dies belaste Familien und erschwere die Einhaltung von Tarifverträgen und Schutzgesetzen. Weil längere Öffnungszeiten nicht mehr Kaufkraft schüfen, hätten einzelne Läden bereits die Verlängerung zurückgenommen.

In Anlehnung an die vor rund 50 Jahren im Kampf für die Fünf-Tage-Woche geprägte Parole »Samstags gehört Vati mir« müssten sich die Gewerkschaften nun die Parole »Sonntags gehört Mutti wieder mir« zu Eigen machen, erklärte der Gewerkschafter. Zudem sei der Begriff »Dienstleistungen« in der Bedarfsgewerbeordnung äußerst schwammig gefasst. So könne die Tür für die Einbeziehung von immer mehr Berufen in die Sonn- und Feiertagsarbeit geöffnet werden, sagte Bothner.

Wieder mal im Landtag

Der ver.di-Landeschef zeigte sich überrascht darüber, dass die Regierung keine öffentliche Anhörung zur Sache plane: »Das betrifft Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende und gehört daher im Parlament auf die Tagesordnung.«

Die Linksfraktion möchte das Thema bei der nächsten Plenarsitzung zur Sprache bringen und den Erlass stoppen. Gleichzeitig will sich die Allianz verstärkt landesweit zu Wort melden.

Bothners Besuch im Landtagsgebäude war wieder ein Stück Normalität, nachdem das Parlamentspräsidium Anfang des Jahres über ihn ein Hausverbot verhängt hatte. Auslöser hierfür war ein spontaner Gesangsvortrag durch Bothner und andere Gewerkschafter auf der Besuchertribüne des Plenarsaals während einer Parlamentsdebatte – aus Protest gegen die Einführung einer Schuldenbremse in die Landesverfassung. Die Aussperrung war bereits im Mai aufgehoben worden.

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