Römisches Chaos mit Notverordnung

Tauziehen in Regierungskoalition / Italiens Sparpaket im Wirbel der Interessengegensätze

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 3 Min.
In der italienischen Regierung herrscht Chaos, und das Mitte August per Notverordnung beschlossene, so hochgelobte Sparpaket über 45 Milliarden Euro verliert immer mehr an Kontur. Da die EU darauf gedrängt hatte, dass Rom seine Konten irgendwie in Ordnung bringt, verfolgt man auch in Brüssel den italienischen Wahnsinn mit wachsender Besorgnis.

»Bei der Analyse des italienischen Sparpakets wird die Kommission ihr Augenmerk besonders auf die strukturellen Maßnahmen lenken, die das Wachstum unterstützen sollen. Gleichzeitig wird man auch überprüfen, ob die Parameter eingehalten werden, die in den Empfehlungen enthalten waren, die die EU Italien im vergangenen Juni unterbreitet hat.« Das erklärte am Dienstag Amadeu Altafaj, Sprecher des EU-Kommissars für Wirtschaft und Währung, Olli Rehn. Weniger bürokratisch gesagt: Man ist in Brüssel besorgt, hofft aber immer noch, dass die italienische Regierung ihre »Hausaufgaben« machen und ein Sparpaket verabschieden wird, das den Forderungen nach einem Haushaltsausgleich bis 2013 entspricht.

Tatsächlich aber müssten auch den europäischen Verantwortlichen die Haare zu Berge stehen, wenn sie auf das schauen, was in diesen Tagen in Rom geschieht: Am 14. August beschloss die Berlusconi-Regierung auch auf Drängen der EZB ein Sparpaket über 45,5 Milliarden Euro. Damit sollten die Märkte beruhigt werden, die die italienischen Staatspapiere in höchstem Maße abgestraft hatten. Dieses Paket sah eine Reihe von Maßnahmen vor, darunter eine Art Solidaritätssteuer für Besserverdienende, Einschnitte bei den Renten und eine starke Kürzung der Mittel für Regionen und Kommunen, die durch ihre Vertreter parteienübergreifend sofort erklärten, dass sie ihren institutionellen Aufgaben damit vor allem im sozialen Bereich nicht mehr nachkommen könnten.

Es begann ein großes Tauziehen innerhalb der Regierungskoalition, wo jeder befürchtete, durch diese Maßnahmen einen Teil der eigenen Klientel zu verlieren. Die Opposition wandte sich geschlossen gegen das Paket und kritisierte vor allem, dass darin letztlich überhaupt keine Maßnahmen für ein Wachstum enthalten seien. Die Gewerkschaft CGIL kündigte für Dienstag einen Generalstreik an.

Vor zwei Tagen dann, nach einem achtstündigen Koalitionstreffen in einer der Privatvillen von Silvio Berlusconi bei Mailand, wurden mit großem Trara einige »Verbesserungen« und Änderungen bekannt gegeben: Nun doch keine Solidaritätssteuer (außer für Staatsbeamte), mehr Geld für die Kommunen, aber dafür noch sehr viel größere Einschnitte bei den Renten. Sie hätten dazu geführt, dass vor allem Männer mit Universitätsabschluss und abgeleistetem Wehrdienst plötzlich bis zu acht Jahre länger arbeiten sollten.

Wieder war der Protest groß. Die Opposition, aber auch die italienische Notenbank befürchteten, dass so die Gesamtsumme von 45,5 Millionen Euro nie und nimmer erreicht werden würde, und die CGIL-Vorsitzende Susanna Camusso sprach im Zusammenhang mit den Renten von einem »Staatsstreich«. Auch die Regierungspartei Lega Nord, die ja kurz zuvor dieses Paket unterzeichnet hatte, machte einen Rückzieher, so dass es schon 24 Stunden später hieß, man werde die Lebensarbeitszeit nun doch nicht so drastisch erhöhen und stattdessen andere Maßnahmen »andenken«.

Was bleibt, ist ein einziges Chaos mit grotesken Zügen. Derzeit weiß niemand in Rom oder Brüssel, was Italien denn nun eigentlich für ein Sparpaket hat und wie hoch die Einsparungen wirklich sind. Regierungsvertreter üben sich in diversen Einzelvorschlägen, wie zum Beispiel die höhere Besteuerung von Migranten und Fußballspielern oder die Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Prozent. Andere Regierungsvertreter sagen das genaue Gegenteil. Das zuständige Finanzministerium legt entweder gar keine oder zumindest keine verlässlichen Zahlen vor. Und die Parlamentarier, die ja eigentlich über die Maßnahmen diskutieren sollten, sitzen da und drehen Däumchen, da ihnen niemand sagt, worüber sie denn nun debattieren sollen.

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