Zwischen Frauen und Phobien

Der dänische Regisseur Lars von Trier kommt für eine Retrospektive ins Babylon-Mitte

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

»Ich fühle mich immer so furchtbar verpflichtet, die Menschen zu unterhalten. Dabei sollte ich einfach die Klappe halten. (…) Es tut mir wirklich leid, dass es so gekommen ist« – so bereut einer, der mächtig ins verbale Fettnäpfchen getreten ist, in diesem Fall der berühmteste Filmregisseur Dänemarks, Lars von Trier. Zur Erinnerung: Im Mai dieses Jahres wurde von Trier vom Filmfestival in Cannes verbannt, nachdem er dort auf einer Pressekonferenz seine angebliche Sympathie für Hitler bekundet hatte und mit den Worten schloss: »Okay, ich bin ein Nazi.«

Dass dem notorischen Enfant Terrible nationalsozialistisches Gedankengut völlig fern ist, wenn er nicht unter selbst verordnetem Provokationszwang steht, beweist sein Werk. So setzte er sich unter anderem in seinem Drama »Europa« (1991) mit dem Holocaust auseinander. In einer halb realen, halb imaginären deutschen Nachkriegsgesellschaft wird dort anhand des leitmotivischen Zugs, in dem der Protagonist Leopold als Schlafwagenschaffner arbeitet, das Verhältnis von (deutschen) Verbrechen, Schuld und Verdrängung reflektiert.

Als Mensch mag der unter etlichen Phobien leidende von Trier eitel bis größenwahnsinnig daherkommen: So hat er etwa seinem Namen das »von« selbst beigefügt. Als Künstler ist er dagegen visionär, vielseitig und radikal und einer der wichtigsten Regisseure der Gegenwart, wie die jetzige umfassende Retrospektive im Kino Babylon beweist.

Von Trier erkundet bewusst die Grenzen des Zumutbaren, überschreitet sie zuweilen. Seine visuell bestechenden, apokalyptischen oder bizarren Visionen lassen selten indifferent. So überwog in seinem in Sepiafarben gehaltenen Erstling »Element of Crime« von 1984 (nach dem sich die gleichnamige deutsche Rockband betitelte) noch der absolute Stilwille, samt zitatenträchtiger Erkundung aller erdenklichen technischen Möglichkeiten des Mediums Film.

In den 90er Jahren dagegen legte er sich mit dem Manifest »Dogma« geradezu spartanische Filmregeln auf, verzichtete auf technische Raffinessen und Illusion. Realismus und Überschwang – zwischen diesen Extremen pendelt das Kino des Lars von Trier.

Auch seine angebliche Misogynie ist legendär. Frauen sind bei ihm Heilige, Nutten oder beides gleichzeitig. Erscheint die willige Annahme der Opferrolle der von Björk verkörperten Selma in dem Musical »Dancer in the Dark« (Goldene Palme in Cannes 2000) jedoch bis zur Ärgerlichkeit penetrant, nimmt sie in »Breaking the Waves« (1996) eine andere Dimension an. Hier wird die Doppelmoral einer repressiven, hochreligiösen Dorfgesellschaft angeprangert, über welche die geistig simpel gestrickte Heldin Bess (Emily Watson) am Ende moralisch triumphiert.

Von Triers desillusioniertes, düsteres Menschenbild, das Gütigen oder (scheinbar) Schwachen kaum eine Chance lässt, treibt er in »Dogville« (2003) auf die Spitze. In dem, auch durch seine radikale Form bestechenden Meisterwerk, das ohne Kulissen gedreht wurde, kommt die auf der Flucht befindliche Gangsterin Grace (Nicole Kidman) buchstäblich auf den Hund, bevor sie sich blutig rächt. Dabei wirkt die anfänglich latente Gewalt dieses Films um einiges beklemmender als die brachialen Effekte seines kontrovers rezipierten Schocker »Antichrist« (2009).

Neben weniger bekannten Werken des Regisseurs (wie seiner TV-Kultserie »Geister«) zeigt das Kino Babylon auch den »Dogma«-Klassiker »Idioten« (1998). Darin scheitert eine Gruppe selbsternannter Anti-Konventionalisten, die in der Öffentlichkeit als geistig behindert auftritt, letztlich an ihrer eigenen Bürgerlichkeit.

Diesen Vorwurf kann man von Trier nicht machen. Am Samstag um 19.00 Uhr wird er in einem von Friedemann Beyer moderierten Gespräch dem Publikum Rede und Antwort stehen. Sein letztes Werk »Melancholia« (Kinostart: 4. Oktober) zeigt das Babylon bereits heute vorab (19.30 Uhr). Darin beschwört von Trier in betörenden Bildern den Weltuntergang – folgerichtig für jemanden, der in seinen Filmen nur zu pointiert aufzeigt, wie der Mensch dem Menschen ein Wolf ist.

2.-24.9., Babylon, Rosa-Luxemburg-Straße 30, Tel.: (030) 242 59 69, www.babylonberlin.de

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